PARTY IM SCHUHKARTON
«In Zug fahren alle Porsche» lautet eines von vielen Vorurteilen, die über das Zugerland kursieren. Stimmt nicht, sagt unsere Autorin.
Schon klar, dass in der Hochburg von Porsche, Maserati, Lamborghini und Mercedes S-Klasse mit einem Renault Twingo nicht zu punkten ist. Umso mehr ist es an der Zeit, für den besten aller je produzierten Kleinwagen eine Lanze zu brechen.
Vorab: Wir sprechen nicht von neuen Modellen, sondern vom Ur-Twingo, der 1993 auf den Markt kam, sich weltweit über 2,5 Millionen Mal verkaufte und zu einem der populärsten Grossserienmodelle entwickelte. Es geht aber auch um jenen Twingo, der heute nur noch selten gesichtet wird und – die Schreiberin spricht aus Erfahrung – im Zugerland entsprechend auffällt, ja gar neidische Blicke auf sich zieht. (Als Ü-50-Fahrerin besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass sich spontane Kommentare der Begeisterung auf das Fahrzeug, nicht auf die Lenkerin beziehen.)
Ist auch kein Wunder: Das Design genial, die Bauweise kompakt, die Handhabung einfach, der Benzinverbrauch tief. Und das Faltdach, dank dem sich der Wagen im Sommer mit wenigen Handgriffen in ein Cabrio verwandelt – schlicht der Hammer! Zugegeben: die Wegfahrsperre hat ihre Macken und die Zentralverriegelung spielt mitunter verrückt. Aber haben wir nicht alle unsere Schwächen? Letztlich liegt es doch an der Fahrerin, Strategien zu entwickeln, wie sie mit problematischen Eigenschaften ihres Fahrzeugs umgeht. Im Falle des Twingos heisst das: Türen weder ver- noch entriegeln, den Wagen einfach stehen lassen. Diese paradoxe Diebstahlprävention hat ein starkes Argument: In der Statistik der am häufigsten geklauten Kraftfahrzeuge taucht der Renault Twingo nicht auf.
Hingegen wird er bei Sammlern immer beliebter! Das Billigauto – seinerzeit entworfen von Chefdesigner Patrick Le Quément – entwickelt sich gemäss Fachkreisen langsam aber sicher zur Wertanlage. Vor allem Fahrzeuge mit Servolenkung und Originalarmaturen sind sehr gefragt. Auch bei den Jungen geniesst das Gute-Laune-Auto Kultstatus: In welchem Vehikel findet man noch einen CD-Player, in dem sich die elterlichen Disketten von «Nirvana», «Pearl Jam» und «Red Hot Chili Pepper» abspielen lassen und die Boxen schon bei durchschnittlicher Lautstärke bedrohlich dröhnen?
Es ist grotesk: Ursprünglich hat man den Occasions-Twingo für 5’000 Franken erstanden, weil man etwas Unspektakuläres, Unauffälliges wollte, sich aus Autos gar nichts machte. Doch nun, nachdem man mit dem kleinen Schwarzen seit über 20 Jahren unterwegs ist, stellt man überrascht fest: Man ist zum Autonarr geworden, erhält Komplimente von wildfremden Leuten und fachsimpelt gerne drauflos: Die Ein-Box-Karosserie und das flexible Raumkonzept mit verschiebbarer Rückbank und umklappbaren Sitzen waren seinerzeit revolutionär – der Name Twingo das Resultat eines kongenialen Wortspiels, nämlich die Kombination dreier Tänze: Twist, Swing und Tango. Party im Schuhkarton!
Nur eben: Der Twingo ist im Zugerland eine Rarität, taugt bei den hiesigen Kreisen doch nicht zum Prestigeobjekt. 75 PS – lächerlich! in 12 Sekunden von 0 auf 100 km/h – na ja … Ein einziger Twingo der ersten Generation mit ZG-Nummernschild dreht hier regelmässig seine Runden. Kommt es zu einer Begegnung, winkt man sich freundlich-verschworen zu und weiss: nun strahlen auch die Kulleraugen des Twingos. Er lächelt. Er ist glücklich, er ist nicht allein. Er hat hier Verwandte!
Man ist es dem Twingo schuldig, ab und zu in seine französische Heimat zu reisen, auch wenn sich der Komfort in Grenzen hält und insbesondere Autobahnabschnitte viel Geduld erfordern. Eine Beschleunigung auf 120 km/h erreicht man nur, wenn’s abwärts geht. Überholmanöver lässt man lieber bleiben. Angekommen im Renaultland sind derlei Strapazen aber sogleich wieder vergessen. Denn spätestens in Grenoble stossen wir auf viele, viele bunte Twingos: in Pink, Orange, Lila, Violett, Türkisblau, Bordeauxrot, Zitronengelb, Olive-, Linden- und Pistaziengrün: Das Chassis verbeult, die Stossstange futsch, das Polster verschlissen, die Radkappen verschwunden. Dass die Franzosen ihre Autos zwar regelmässig auftanken, aber eine Reinigung für komplett überflüssig halten, kann man nun wirklich nicht den vor Dreck stehenden Kleinwagen anlasten. Schliesslich kommen sie für landwirtschaftliche Transporte während der Melonen- und Kartoffelernte genauso zum Einsatz wie als Zügelauto – notfalls mit offenem Heck.
Möge die Zuger Motorfahrzeugkontrolle dem schwarzen Twingo bei der nächsten Kontrolle gnädig gesinnt sein und über etwaige Beeinträchtigungen (leicht ausrangierte Kupplung, durchgebrannte Zylinderkopfdichtung, kleine Rostflecken) grosszügig hinwegsehen. Möge bei umfangreichen Reparaturen (ausgeschlagene Achsgelenke, gebrochene Federbeine) sodann auch der Garagist beherzt Hand anlegen und daraufhin wirken, dass die Kosten für die Kundin tragbar sind. Eine Trennung vom Auto käme einem schmerzhaften Verlust gleich, denn im Laufe der Jahre hat sie gemerkt: Der Renault Twingo ist kein Gefährt, sondern ein Gefährte und soll dies noch lange bleiben.
Damit das klar ist: Auch der Elektro-Twingo, der 2026 für Nostalgiker im Retro-Look zum stolzen Preis von 20’000 Franken auf den Markt kommen soll, ist keine Option. Wie heisst es so schön? Alte Liebe rostet nicht.