PUBLIKATION

Denkmaljournal

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

20.3.2024

BEAUTY AUS BETON

 

Benedikt Huber realisierte 1970 in Rotkreuz eine Kirche von musealer Schönheit. Der Sichtbetonbau folgt dem zeittypischen Brutalismus und ist ein Vertreter der Nachkriegsmoderne. Die kürzlich erfolgte Sanierung führte das Bauwerk wieder stärker an das originale Erscheinungsbild.

 

Angenommen, man würde Menschen spontan nach einem Baudenkmal befragen, käme wohl der Mehrheit ein imposantes Schloss oder eine eindrucksvolle Burg aus längst vergangenen Zeiten in den Sinn; allenfalls auch ein Mahnmal, das zum Gedächtnis an eine historische Person oder ein wichtiges Ereignis errichtet wurde. Die Burg Zug aus dem 12. Jahrhundert wäre so ein Denkmal oder das steinerne Monument am Ägerisee, das an die Schlacht von Morgarten von 1315 erinnert.

 

Wohl kaum jemand käme auf die Idee, die reformierte Kirche in Rotkreuz als Denkmal zu bezeichnen. Und doch ist dieses 1970 von Benedikt Huber gebaute Gotteshaus für die Baukultur des Kantons Zug von grosser Bedeutung. Es stellt einen wichtigen Vertreter der sogenannten Nachkriegsmoderne dar, also jener Zeit zwischen 1945 und 1980, in der namhafte und experimentierfreudige Architekten Bauten realisiert haben, die aufgrund innovativer Konstruktionen, Formen und Materialien überzeugten. Die reformierte Kirche von Rotkreuz steht prominent auf einem Hügel und zeichnet sich aus durch ihr unkonventionelles Volumen, den polygonalen – sprich mehreckigen – Grundriss, das skulptural ausgeformte Glockengeschoss und das wuchtige, eternitverkleidete, gegen den Kirchturm ansteigende Pultdach. Im Innern besticht das Gebäude durch eine grosszügige Eingangshalle sowie einen diagonal ausgerichteten Kirchenraum mit tribünenähnlicher Stufung, die allen Kirchgängern beste Sicht auf den Abendmahltisch erlauben. Faszinierend ist, dass der skulpturale Baukörper je nachdem, von wo man ihn betrachtet, ein komplett anderes Erscheinungsbild abgibt. Erst beim Umrunden erschliesst er sich in seiner vollen Grösse.

 

Das Amt für Denkmalpflege und Archäologie hatte die Kirche schon länger auf dem Radar. Als sie 2017 das Inventar der schützenswerten Denkmäler aktualisierte, definierte sie – nach Konsultation der Gemeinde Risch – für das Bauwerk eine sogenannte Schutzvermutung. Erfreut über diese Nachricht stellte die Eigentümerschaft im Jahr 2018 einen Antrag auf Unterschutzstellung. Im Wissen um den baukulturellen Wert der Kirche, aber auch angesichts einiger zeitbedingter Schäden, die dringend behoben werden mussten, genehmigten die Mitglieder des Grossen Kirchenrats im Frühjahr 2021 schliesslich einen Sanierungskredit in der Höhe von knapp 1,9 Millionen Franken. «Die Unterschutzstellung war im Kirchenrat unbestritten und für uns mit zahlreichen Vorteilen verbunden», erinnert sich Bauverwalter Hans Fischer. «Wir erhielten fundierte, kostenlose Beratungen von der Denkmalpflege, viele gute Anregungen sowie hilfreiche Ausführungs- und Materialisierungsvorschläge. Zudem beteiligten sich Kanton und Gemeinde mit Beiträgen an den substanzerhaltenden Massnahmen.» Dass es sich bei der Rotkreuzer Kirche um ein spezielles Gotteshaus handelt, war dem Bauverwalter schon immer vage bewusst. «Aber erst die Denkmalpflege und insbesondere der durch sie erstellte Fachbericht öffneten uns die Augen», so Fischer.

 

Der Bericht zur Schutzwürdigkeit der Kirche beschreibt en détail nicht nur die Qualitäten des Baus, sondern kontextualisiert diese auch. Mit der Betonkirche, so erfährt man etwa, schuf Architekt Benedikt Huber ein für die Region aussergewöhnliches, von neuen liturgischen Ideen beeinflusstes Werk, das bis heute durch seine klar durchdachte Ästhetik und Materialisierung in Sichtbeton, Rauputz, Klinker und Holz besticht.


«Die neuen Möglichkeiten des Stahlbetons liessen vormals undenkbare, plastisch frei geformte Entwürfe überhaupt erst zu», heisst es weiter. Darüber hinaus sei der markante Bau ein wichtiger Zeuge des rasanten Wachstums in Rotkreuz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der in dieser Zeit stark anwachsenden reformierten Kirchgemeinde. Diese reagierte mit dem Projekt auf den Ruf der protestantischen Rischer Bevölkerung nach einer eigenen Kirche. Architekt Huber war dafür prädestiniert: Er zählte damals zu den renommiertesten Schweizer Kirchenarchitekten und baute weitere Kirchen und Kirchzentren, so etwa in Basel, Zürich, Kehrsatz BE, Riehen BL, Murgenthal AG. Was oft vergessen geht: An den meisten Projekten war auch seine Ehefrau, Martha Huber, beteiligt. Als Innenarchitektin brachte sie eine wichtige Expertise mit und prägte vor allem die Innenräume.

 

Beim aktuellen, von der Denkmalpflege begleiteten Projekt in Rotkreuz standen die Sanierung der Sichtbetonfassade und des Eternitdachs, eine barrierefreie Erschliessung sowie die Um- bzw. Neugestaltung der sanitären Einrichtungen im Zentrum. Einbauten, Zwischenböden und Oberflächen, die im Rahmen von früheren Eingriffen angebracht wurden und nicht der Qualität der Originalbaute entsprachen, wurden entfernt oder durch passende Elemente ersetzt. Gelungen ist auch die Auffrischung der Versammlungsräume, die multifunktional genutzt werden können. Hier realisierte man eine neue Gastroküche, entfernte die Täferdecke, holte die Betondecke hervor und installierte elegante LED-Leuchten, wobei die sichtbaren Installationen explizit zu einem Teil dieser Gestaltung wurden. Gleichermassen stilvoll wie praktisch ist die bauzeitliche raumtrennende Faltwand aus Holz, die sich wie eine Handorgel auf- oder zuziehen lässt.

 

Dank der Sanierung ist nun im ganzen Haus wieder eine einheitliche gestalterische Handschrift ersichtlich, die sich von den Schreinerarbeiten über die Wand- und Deckenleuchten bis zum Handlauf zieht. Innen- und Aussenräume harmonieren, wirken schlicht und stimmig. Insbesondere wurden zur Freude treuer Gottesdienstbesucher die abgenutzten textilen Sitzpolster auf den Kirchenbänken durch wertige Lederpolster ersetzt – mit solchen waren die Holzbänke auch ursprünglich ausgestattet. Wobei gesagt sein muss: Ein Besuch dieser schnörkellosen Sakral-Ikone lohnt sich völlig unabhängig von der Religionszugehörigkeit und Kirchentreue, denn der Bau ist von musealer Schönheit und für baukulturell interessierte Leute ein Muss.

 

Weil gute Architektur immer auch eine gute Umgebungsgestaltung beinhaltet, hat man parallel zur Sanierung des Bauwerks auch den Aussenraum optimiert. Landschaftsarchitekt Benedikt Stähli spricht von einer «Bereinigung», bei der es darum ging, gewisse ältere, mit der Architektur eher weniger kompatible Elemente zu eliminieren und die dadurch entstandene Fläche mit gezielten Massnahmen aufzuwerten. Dies ging einher mit einer Anpassung des Baum- und Heckenbestands, der Sanierung von Sitzbänken, der Neuorganisation der Parkplätze sowie der Modifizierung des Beleuchtungskonzepts, welches modern, zurückhaltend und zweckmässig ist. Der mit Verbundsteinen gepflästerte Vorplatz ist neu mit einem Brunnen des Künstlers Roland Heini ausgestattet. Das formschöne Objekt verstärkt die Idee des Platzes als eines ungezwungenen Begegnungsorts, von welchem man – dank der erhöhten Lage – beste Sicht auf das Rotkreuzer Dorfzentrum geniesst. 

 

Tauchen wir zum Schluss nochmals ein in die Gedankenwelt von Benedikt Huber, der als ETH-Professor und Redaktor der Zeitschrift «Werk» immer wieder interessante Texte publizierte und darin seine Meinung zu architektonischen Themen kundtat. Im Text «Die Aufgabe, eine Kirche zu bauen» beschreibt Huber, inwiefern Sakralbauten eine besondere Herausforderung darstellen. Im Gegensatz zu den katholischen Kollegen, die von der Kirche klare Anweisungen über Form und Inhalt ihrer Bauten erhalten – heute würde man wohl von «Dos and Don’ts» sprechen –, würden beim protestantischen Kirchenbau präzise Vorgaben meist fehlen. «So ist der Architekt gezwungen, die Aufgabe des Gotteshauses selber zu interpretieren und in der Architektur zum Ausdruck zu bringen: eine grosse, wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe.» Benedikt Huber war ihr gewachsen.

 

Involvierte Firmen:
Guntli Architektur GmbH, Baar (Planung und Bauleitung)
Benedikt Stähli Landschaftsarchitekt BSLA, Cham (Umgebung)
Marianne Huber, Steckborn (Betonsanierung)
De Lucia Bautenschutz und Renovation, Zürich
Peter Ziebold Malermeister, Zürich
Roland Heini, Stansstad (Brunnen)
Lis Hurni, Beleuchtungsplanung, Luzern

Involvierte Amt für Denkmalpflege und Archäologie:
Anke Köth (Baubegleitung), Michael Cerezo (Fachbericht)

 

Das Denkmal in Kürze

 

Die reformierte Kirche Rotkreuz, 1969 bis 1971 erbaut, ist ein bedeutendes Beispiel der expressiven, plastischen Kirchenarchitektur der späten 1960er Jahre im Kanton Zug. Gebaut wurde das der Nachkriegsmoderne zugeordnete Denkmal vom Zürcher Architekten Benedikt Huber (1928−2019), der für seine modernen Kirchenbauten schweizweit bekannt war. Neben der plastisch geformten, scharf geschnittenen Gebäudehülle ist die Gesamterscheinung vor allem durch die Béton-brut-Materialisierung mit sägeroher Brettschalungsstruktur charakterisiert. Im Innern dominieren grober Kellenwurf, Sichtbeton, Klinker und Holz.