PUBLIKATION

Destinationsmagazin Zug

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.9.2023

AM PULS VOM SEE - MIT FISCH IM NETZ

 

Als Berufsfischerin vom Ägerisee serviert Verena Merz den Gästen im familieneigenen Hotel und Restaurant fangfrische Rötel, Hecht, Egli oder Felchen. Die Arbeit in freier Natur ist anspruchsvoll und kräfteraubend.

 

Es ist ein sanftes, aber frisches Lüftchen, das am Mittag über den Ägerisee weht und dafür sorgt, dass sich an der Oberfläche kleine Wellen kräuseln. Die Sonne schickt zaghaft ein paar Strahlen durch die Wolken und am Horizont präsentiert sich ein malerisches Panorama aus entfernten Bergen und nahen Hügeln. Hier kommt Ferienstimmung auf, selbst wenn der idyllische Flecken Erde in Morgarten bei Oberägeri (auch) ein Arbeitsplatz und Ausgangspunkt für professionelle Fahrten mit dem Fischerboot ist, wie dies für Verena Merz zutrifft. Die 25-jährige Berufsfischerin – die einzige im ganzen Kanton Zug – setzt hier seit Jahren ihre filigranen Netze und liefert den Fang im Restaurant «Eierhals» ab, dem Familienbetrieb, den sie mit ihrer Mutter Vreni und den Schwestern Judith und Annette führt.


Die Natur, der See, die Fische – Verena Merz ist damit gross geworden. Schon als Zweijährige, erzählt sie, habe sie ihren Vater aufs Fischerboot begleitet, ihm fasziniert bei der Arbeit zugeschaut und gelernt, wie man das Boot navigiert, mit Boden-und Schwebenetzen hantiert, wie man den Fisch ausweidet, entschuppt, filetiert und enthäutet. Beim «learning by doing» blieb es aber nicht. Nach einer Lehre als Koch startete Verena Merz am Institut für Fischerei an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft die dreijährige Ausbildung zur sogenannten «Fischwirtin». Über althergebrachte Techniken des Fischfangs weiss sie also genauso Bescheid wie über moderne Vermehrungsmethoden und Aufzuchtverfahren, über Gewässerökologie und Lebensräume unzähliger Wassertiere.


Ein- bis zweimal pro Woche sticht Verena Merz in See, meist gegen halb sechs Uhr früh. Wie viele Fische tatsächlich ins Netz gehen, kann die Expertin aber trotz allem Fachwissen nicht prognostizieren. «Die Fische verteilen sich im ganzen See und halten sich nicht nur an einer bestimmten Stelle auf.» Erfahrungswerte helfen aber, die «hot spots» zu finden. Merz setzt ihre Netze ausschliesslich im nördlichen Teil des Sees, was historisch bedingt ist. Die Familie – seit 1744 in Oberägeri beheimatet – fischt bereits in der fünften Generation und besitzt ein im Grundbuch eingetragenes Fischereirecht, das sich über eine Fläche von rund zwei Dritteln des Sees erstreckt. Dieses Gebiet darf die Familie als Pächter darum exklusiv kommerziell befischen.


Volle Netze, eiskaltes Wasser
Wie für ihre Vorfahren ist auch für Verena die Fischerei Passion. Sie geniesst die abwechslungsreiche Arbeit in freier Natur und mag die verheissungsvolle Stille, die bei Tagesanbruch herrscht. Gleichzeitig arbeitet sie viel und hart – bei jeder Witterung. Die Planken an Bord sind rutschig, das Wasser im Winter eiskalt und die vollen Netze, die sie und ihre Fischer Lui und Pius aus dem Wasser ziehen, schwer. Wenn der Regen vom Himmel prasselt, steckt die junge Frau in hüfthohen Gummistiefeln und wasserdichten Ölkleidern. Bei dichtem Nebel und schlechter Sicht muss sie sich alleine auf dem See zurechtfinden. Überraschungen gibt es immer wieder: Neulich schwamm ihr ein 15 Kilo schwerer Karpfen ins Netz. Geniessbar war das vermutlich bereits ältere Tier aber nicht mehr. Das Fleisch hatte einen seltsamen Beigeschmack und konnte nicht verwertet werden.


Trotz seiner geringen Fläche von gut sieben Quadratkilometern verfügt der Ägerisee über eine erstaunlich grosse Artenvielfalt. Die Berufsfischerin interessiert sich vor allem für Rötel, Felchen und Hecht. Da die Selbstverlaichung vieler einheimischer Fischarten nicht gewährleistet ist, betreibt Merz auf den drei genannten Arten Laichfischfang. Das heisst: Sie darf als Profi während der zur ungestörten Fortpflanzung vorgesehenen Schonzeit laichreife Fische fangen, um die Eier in der Fischbrutanlage künstlich zu erbrüten. Die Fischersfrau arbeitet dabei eng mit dem Amt für Wald und Wild zusammen, mit dem sie vereinbart, wann die ersten Netze gesetzt und Testfänge gemacht werden dürfen. Erhält sie von der Fischereiaufsicht das «go», kann der offizielle Fang starten. Die gefangenen Fische kommen in die Fischbrutanstalt, wo der Laich entnommen, befruchtet und unter idealen Bedin¬gungen erbrütet wird, bis die Larven aus den Eiern schlüpfen. Sind diese 3 bis 4 Zentimeter gross, kommen sie als «Besatzfische» wieder in den See.


Der Hecht - dieser dunkelgrüne Räuber

Freude kommt auf, wenn unverhofft ein Schwarm von Felchen angeschwommen kommt. Der populäre Speisefisch mit seinem silbern schimmernden und langgestreckten Körper ist im Ägerisee gut vertreten und landet entsprechend häufig auf dem Teller der «Eierhals»-Gäste. Fasziniert ist die Fischerin aber auch vom Hecht, dem dunkelgrünen Räuber mit den scharfen Zähnen, der Enten attackiert und als Kannibale kein Erbarmen mit Artgenossen kennt. «Der Hecht ist sogar mein Lieblingsfisch», gesteht Verena Merz. «Denn entweder steht er bockstill und sucht nach Beute, oder er schiesst entschlossen und pfeilschnell los.» Am Rötel wiederum gefällt Verena Merz die markante Rotfärbung und die Tradition, die mit der Delikatesse verbunden ist. Noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde er – lebend in Fässer verfrachtet – mit Ross und Wagen bis nach Zürich exportiert. Seeforellen, Trüschen und Egli fischt Verena Merz nicht gezielt, die gehen eher zufällig ins Netz und werden im Restaurant tagesaktuell empfohlen. Das Versprechen von «fangfrischem Fisch», mit dem der Familienbetrieb wirbt, kann also eigehalten werden, auch wenn sich die Tiere, richtig verpackt, bis zu fünf Tagen bei null Grad im Kühlschrank halten lassen.


Aber ist der See wirklich nur Arbeitsplatz, oder kann Verena Merz das Gewässer auch in der Freizeit geniessen? Sie nickt. «An einem freien Nachmittag lege ich mich auf die Wiese am Seeufer und lasse die Seele baumeln. Auch für einen Schwumm nehme ich mir im Sommer gerne Zeit.» Auf dem Wunschzettel steht zudem die Absolvierung des Tauchbrevets. Dann bestünde für die Berufsfischerin die verlockende Gelegenheit, die Geschöpfe mit Kiemen aus nächster Nähe zu beobachten und friedlich an sich vorbeiziehen zu lassen.