PUBLIKATION

Buch «Tangente»

ZUSAMMENARBEIT

Andreas Busslinger (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

25.5.2021

EIN FOKUS AUF FLORA UND FAUNA

 

Landschaftspflegerische Massnahmen sorgen dafür, dass Tangente, Zufahrtsstrassen, Kreisel, Kunstbauten und Böschungen optimal in die Landschaft integriert werden und das Naherholungsgebiet nicht zu stark an Attraktivität einbüsst. Bei der Wahl von Gehölzen und Saatgut wurde nichts dem Zufall überlassen.

 

Der Plan bringt Laien zum Staunen. Im Detail und in Farbe ist darauf die gesamte Umsetzung der «Landschaftspflegerischen Begleitplanung» (LBP) abgebildet. Ins Auge stechen dabei vor allem die grün und blau schraffierten Flächen. Sie zeigen, wo sich Obstkulturen, Gehölzgruppen, Krautsäume, Wald, Wiesen, Hecken und Grundwasserschutzzonen befinden, wo es Magerwiesen, Hochstauden und Rabatten gibt, wo Bäche fliessen, Baumreihen und Alleen stehen.


Eine LBP erfolgt in der Schweiz bei sämtlichen grösseren (Strassen)-Bauprojekten. Oft unterstehen diese Vorhaben (wie die Tangente) auch einer Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Das Ziel im vorliegenden Fall bestand darin, die Tangente optimal in die Landschaft und das Siedlungsgebiet zu integrieren, bestehende Strukturen wenn immer möglich zu respektieren bzw. unvermeidbare Eingriffe zu kompensieren. Die LBP erarbeitete auch Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen, die sich aus dem Schweizerischen Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) sowie aus kantonalen Vorgaben ableiten. Konkret findet die Kompensation auf einer Fläche von rund 14 Hektaren statt. Dies entspricht rund 20 Prozent des neuen Strassenstücks, das eine Fläche von rund 70 Hektaren aufweist. 


Die Idee dahinter: Wenn schon eine neue Strasse in den Landschaftsraum eingreift, soll deren Ausgestaltung wenigstens so umweltverträglich wie möglich sein. Bei der Tangente begann dieser Prozess mit der optimalen, das heisst terrainnahen Einpassung der rund drei Kilometer langen Strasse in die Topografie und endete beim sorgfältig zusammengestellten Saatgut für Strassenböschungen und Bachborde. Die Renaturierung der Fliessgewässer im betroffenen Landschaftsraum stellte einen Schwerpunkt dieser Massnahmen dar, doch es gibt noch weitere Elemente, die der Erwähnung bedürfen.


Zum Beispiel die Ausgestaltung und Begrünung der mit Aushubmaterial geschütteten Dämme und Böschungen. Sie schützen das Siedlungsgebiet vor Lärm und generieren zusätzlich neuen Lebensraum für Flora und Fauna. Auf die streckenweise darauf installierten Lärmschutzwände hätte man aus naturspezifischen Überlegungen zwar gerne verzichtet, denn sie stellen für Pflanzen und Tiere Barrieren dar. Doch ohne zusätzliche Wände wäre der Lärmschutz im Siedlungsgebiet nicht gewährleistet gewesen. Die Alternative hätte darin bestanden, die Dämme wesentlich höher zu bauen, doch dies hätte wiederum unverhältnismässig viel Fläche beansprucht. Schon in Kürze sollen auf den als Magerwiesen konzipierten Dämmen Gräser, Kräuter und Blumen wachsen. Punktuell werden entlang der Lärmschutzwände auch Gehölzgruppen gepflanzt. Sie sollen die Monotonie des doch langen Riegels brechen.


Ein durchdachtes Bepflanzungskonzept liegt auch den drei Zufahrtsstrassen zugrunde, die vom Süden her an die Kreisel führen. Denn anders als die Tangente – die bewusst keine zusätzliche Akzentuierung durch Bepflanzung erfährt – hat man diese Querverbindungen aus dem Siedlungsgebiet betont und die bestehenden Reihen und Alleen mit neuen Bäumen ergänzt. Die drei Knoten sind in einheitlicher Art und Weise gestaltet: Je mehr man sich den Kreiseln nähert, desto dichter stehen die Bäume nebeneinander. Die Kreisel selbst sind mit Traubenkirschen bepflanzt, deren Laub sich im Herbst verfärbt. Diese Sträucher sind nicht nur hübsch anzusehen, sie erschweren auch die Durchsicht und haben somit verkehrserzieherischen Charakter: Autofahrer sollen nicht ungebremst auf die Kreisel zusteuern, sondern rechtzeitig abbremsen.


Auch gut zu wissen: gerodete Waldflächen wurden im direkten Umfeld des Eingriffs wieder aufgeforstet und Hochstammbäume, die während der Bauarbeiten weichen mussten, wurden bzw. werden vom Kanton ersetzt. Die landschaftliche Einbindung der Tunnelportale erfolgt durch die Präsenz von Obstbaumgruppen, einem hier typischen Landschaftselement. Auf der Anschüttung entlang der Lärmschutzwand beim Margel sind Obstspaliere vorgesehen. Dem Strassenprojekt nicht weichen mussten die vier grossen, geschützten Eichen entlang des Grossacherbachs, die das Landschaftsbild prägen und ortskundigen Spaziergängern bekannt sein dürften. Da deren Lebensende allerdings absehbar ist, hat man ganz in der Nähe bereits Ersatzbäume gepflanzt. Ebenfalls erfreulich: Das Wegkreuz am historischen Verbindungsweg von Inwil nach Baar wurde wieder an Ort und Stelle platziert.


Eine markante Aufwertung erfuhr das jahrzehntelang zugeschüttete Bachtobel beim Knoten Margel. Es wurde wiederhergestellt und übernimmt nun – das Wasser rauscht neuerdings unter der Brücke hindurch – die Funktion eines Korridors für die Vernetzung von Lebensräumen. Bemerkenswert ist, dass der steile, gegen Osten gerichtet Hang entlang der Ägeristrasse durchgehend als Böschung ausgebildet werden konnte und – abgesehen von ein paar aus Stahldraht gefertigten Steinkörben – ohne (markante) Stützmauer auskommt. Eine solche Lösung wäre platzsparender gewesen, hätte sich aber weit weniger gut in die Landschaft integriert; zumal der Hangbereich gut einsehbar ist.


Das Bild auf die Tangente und deren Umgebung wird sich im Laufe der Jahre noch stark verändern. Zwar sind schon viele Flächen bepflanzt und bestockt, aber richtig sichtbar wird die neue Begrünung erst in ein paar Jahren. Die Etablierung der Sträucher entlang von Strassen und Dämmen braucht Zeit. Und die Ahornbäume benötigen Jahre oder gar Generationen, bis sie ihre ganze Kraft entfalten. Schneller dürfte sich die Vegetation in den wechselfeuchten Bachmulden entwickeln, wo kleinere und grössere Überflutungen regelmässig Nährstoff eintragen. Schon beim Augenschein im September 2020 präsentierten sich die vielfältig ausgestalteten Wasserläufe erstaunlich idyllisch.


Dass bei den Neupflanzungen nur standortgerechte und einheimische Arten gewählt wurden, versteht sich von selbst. Aufschluss darüber geben die sogenannten Pflanzlisten, eine Art «grüne Einkaufszettel», die für jede einzelne ökologische Massnahme verfasst wurden. Die lateinischen Namen der Pflanzen klingen bei Gartenfans wie Musik in den Ohren: «Prunus spinosa», «Rosa canina», «Viburnum opulus», «Rhamnus cathartica». Auch die zwei verschiedenen Saatmischungen, welche für die trockenen und mageren Böschungen, Dämme und Grünstreifen einerseits sowie die feuchtgeprägten Bachprofile anderseits verwendet wurden, waren Bestandteil der Pflanzlisten.


Nicht Bestandteil der LBP des Tangentenprojekts, aber gleichzeitig von der Gemeinde Baar realisiert wurden zwei Gestaltungsprojekte. Die Busschlaufe Inwil hat man umgebaut, die Aufenthaltsqualität der Umgebung in Anlehnung an die Begegnungszone im Inwiler Dorfkern mit Alleebäumen und Heckenkörpern erhöht. Auf dem Portal Margel wurde zudem eine neue Plattform realisiert. Diese ist von der Bushaltestelle an der Ägeristrasse her zugänglich und markiert den Übergang von der Kulturlandschaft ins Siedlungsgebiet. Der knapp 150 Quadratmeter grosse Kiesplatz ist mit einer Hecke aus Feldahorn, fünf Flammenahornbäumen und drei Sitzbänken bestückt. Wer hier weilt, geniesst einen fantastischen Blick auf Rigi, Pilatus und das Zuger Seebecken und kann sehen, wie das Wachstum unseren Kanton verändert hat und weiter verändern wird.