PUBLIKATION

Zentralplus

ZUSAMMENARBEIT

Ivan Tschenett (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

4.10.2019

MIT EINEM KLICK ZUM LANDSCHAFTSBILD

 

Die Zuger Künstlerin Françoise Nussbaumer malt jeden Tag ein Bild und macht sich die Vorteile der digitalen Technik zunutze. Ihre Werke versteigert sie im Internet – mit Erfolg. Soeben ging das 350. Bild online über den Auktionstisch.

 

Michelangelo brauchte sieben Jahre, um das Altargemälde in der Sixtinischen Kapelle fertigzustellen. Diesen Luxus kann sich Françoise Nussbaumer, 1948 in Zug geboren, nicht leisten; besser gesagt: will sie sich nicht leisten. Stattdessen setzt sie ganz auf Effizienz - und neuerdings auf Digitalisierung.


Ein Bild pro Tag malt die bekannte Künstlerin und stellt sie für Auktionen ins Netz. Auf der eigens dafür kreierten Auktions-Webpage wird derzeit gerade die «Schale mit Kirschen», ein Ölgemälde auf Leinwand im Format 18 x 21, feilgeboten. Einstiegspreis: 100 Franken, Sofort-Kaufen: 600 Franken. Nussbaumer verfolgt den Verlauf aufmerksam und ist optimistisch, dass sich ein Käufer findet. «Manchmal braucht es aber Geduld, bis ein Bieter den Anfang macht und ein Kauf zustande kommt.»  Ihr Optimismus ist nicht fehl am Platz. Das 350. Bild ging vor wenigen Tagen über den online Auktionstisch.


Mit dem Konzept, jeden Tag ein Bild zu malen und dieses sofort zu versteigern, verfolgt Françoise Nussbaumer nicht nur ein finanzielles Ziel, die Strategie passt auch zu ihrem Schaffensdrang. Sie will nicht nur malen, sie muss. «Eigentlich würde ich am liebsten gar nichts anderes mehr tun als malen», gesteht sie. Das Prinzip «A painting a day» ist freilich nicht ihre Erfindung, sondern haben zuvor schon Berufskollegen umgesetzt. In den USA und England versuchten vereinzelt Künstler bereits  Anfang der 2000er Jahre ihre Tageswerke auf eigene Faust im Netz zu verkaufen; manche mit mehr, manche mit weniger Erfolg. Duane Keiser, ein 1966 in South Carolina geborener Künstler und Pionier der Bewegung, hat sich, wie Nussbaumer, vor allem mit Motiven des Stilllebens einen Namen gemacht und online ordentlich verkauft.


Das Erfolgsgeheimnis der ins Netz gestellten Tagesbilder beruht auf Beständigkeit und Zuverlässigkeit. Auch auf Françoise Nussbaumer ist Verlass. Sie sucht ein Motiv, findet eins und bringt es auf die Leinwand. Ist ein Werk fertig, fotografiert sie es und stellt es meist noch am gleichen Tag auf ihre Plattform. Pro Bild investiert sie eins bis sechs Stunden. «Länger kann ich nicht malen. Die Konzentration ermüdet», räumt sie ein. Durchschnittlich geht ein «Daily Painting» von ihr für 200 bis 600 Franken unter den Hammer. Auch auf Facebook und Instagram ist die 70-Jährige präsent.


Françoise Nussbaumer wusste schon in jungen Jahren, dass sie sich mit der Malerei einer der klassischen Gattung der bildenden Kunst widmen will. Doch was heisst hier «widmen»? Angesichts der stupenden Konstanz und Konsequenz, mit der die Künstlerin seit Jahrzehnten ihre ausdruckstarken Ölbilder realisiert, muss man von einer Hingabe sprechen. Bilder mit landschaftlichen Motiven und Darstellungen von Objektkompositionen im Sinne traditioneller Stillleben determinieren ihr umfangreiches Werk. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Impressionismus gelangte sie zu einer eigenen Bildsprache, zu einem unverkennbaren Farbraum, in dem sie sich zielsicher und variantenreich bewegt.


Streng und behutsam zugleich achtet sie auf das innere Gleichgewicht der Komposition und leistet sich den Luxus, unwesentliche Details, die in der Realität präsent sein mögen, auf der Leinwand wegzulassen. Der Fokus liegt auf der Vervollkommnung des formalen Aufbaus sowie auf der Harmonie von Farbe, Licht und Schattierung. Nussbaumers Motivauswahl erstreckt sich über klassische Themen wie Rosengewächse, Zitrusfrüchte, Obstarrangements, Baumalleen, Olivenhaine, Park- und Flusslandschaften, Meeres-, See- und Bergwelten. Gerne nimmt sie auch spezifische Ausschnitte von Häusern, Fassaden oder Strassenzügen ins Visier.


Dabei hätte sie doch gar nicht Malerin werden sollen. Als Françoise Nussbaumer im Teenageralter ihren Vater mit dem Wunsch konfrontierte, die Kunstgewerbeschule zu besuchen, war dieser alles andere als begeistert und versuchte, sie von der Idee abzubringen. Heimlich sammelte er ihre Zeichnungen ein, packte sie in eine Kartonschachtel und unterbreitete diese – in der Hoffnung, das Urteil würde vernichtend ausfallen – Werner Andermatt, dem damaligen Direktor der Kunstgewerbeschule Luzern. Doch dieser war begeistert.  Die 15-jährige Tochter, beschied er dem Vater, habe Talent und könne ohne Aufnahmeprüfung in der «Kunschti» starten. Françoise Nussbaumer blieb nach dem einjährigen Vorkurs noch vier weitere Jahre an der Schule. Danach machte sie ihre Leidenschaft zum Beruf.


Als Naturliebhaberin hat sie sich heute vor allem der Plainair Malerei verschrieben. Mit Ehemann und Camper streift sie monatelang durch Regionen und Landschaften Südeuropas, fängt zeitlos anmutende Momente ein und lässt sie auf kleinformatigen Leinwänden wieder frei. Aus der potentiellen Unbegrenztheit der natürlichen Aussenwelt bestimmt sie «ein Stück Natur»  und transferiert es auf ihre Pochade Box. So entsteht ein Kaleidoskop von stimmungsvoll aufgeladenen Naturräumen, Aussichten und Perspektiven.


«Plainair zwingt mich wegen der schnell wechselnden Lichtverhältnisse zum schnellen Malen», erklärt Nussbaumer. Die kleinformatigen Leinwände kommen ihr dabei zupass. Zudem bringen sie ganz handfeste Vorteile: Die Bilder können ohne Aufwand von A nach B transportiert werden und Käufer finden in den eigenen vier Wänden rasch ein Plätzchen für das neu erstandene Werk.  Als die Künstlerin in den 1980er und 1990er Jahren noch grossformatig arbeitete und ihre Staffelei in der Abgeschiedenheit des Onsernonetals aufstellte, mussten ihre Bilder weiland per Helikopter vom Berg ins Tal geflogen werden.


Es ist die unbedingte Neugierde und Offenheit, mit der sich Françoise Nussbaumer ihrer natürlichen Umgebung zuwendet und diese als Inspiration für ihre Arbeit nutzt. Ihre Werke finden bei einem breiten und treuen Publikum auf Anhieb Gefallen und bleiben trotzdem geheimnisvoll – dank der Erhabenheit der Farbe und des zart fliessenden Pinselstrichs. Durch die lancierten Online-Auktionen ist sie unabhängig und frei – frei vom Feuilleton, frei vom Kunstmarkt, frei von Galeristen. Was sie jetzt braucht, sind nur noch Klicks, möglichst viele Klicks.