PUBLIKATION

Zentralplus

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

7.3.2024

FLACH UND BREIT WIE EIN TEPPICH

 

Anfang der 1960er-Jahre entstand im Zuger Letzi-Quartier eine Überbauung mit 19 eingeschossigen Reiheneinfamilienhäusern. Die legendäre Teppichsiedlung stellt nicht nur einen Kontrast zur Verdichtung dar, sondern gehört inzwischen auch zu den schützenswerten Denkmälern.

 

Die Häuser der Teppichsiedlung im Zuger Letzi-Quartier sind so flach, dass man seinen Augen nicht traut. Ist das wahr? Existieren in der Kantonshauptstadt, wo die Verdichtungsmaxime das Ortsbild prägt, tatsächlich noch solche Bauten? Was für ein Luxus!

 

Willkommen in einem Stück heile Welt, die aus 19 nahezu identischen Reiheneinfamilienhäusern besteht, die in den 1960er-Jahren vom Architekturbüro Hafner & Wiederkehr im Auftrag der Korporation Zug realisiert wurden – an einer Toplage: direkt am Ufer der Lorze, in der Nähe von Bahnhof, See, Schulen und Freizeitanlagen und angrenzend an die Landwirtschaftszone.

 

Doch warum «Teppichsiedlung»? Natürlich wegen der eingeschossigen Bauhöhe und der flächenhaften Ausdehnung der aneinandergebauten Häuser, die im Gesamtbild wie ein einheitlich verwobener Wohnteppich wirken. Charakteristisch für die Disposition sind die hofartigen Eingangsbereiche und die halboffenen Sitzplätze mit den quadratischen Zementplatten, die weiss gestrichenen Putzwände, das Mauerwerk aus Sichtbackstein, die dunklen Holzschalungen und die Flachdächer.

 

«Die Teppichsiedlung ist ein baukultureller Höhepunkt im Letzi-Quartier», heisst es in einer Publikation über die Zuger Nachkriegsmoderne. «Deren Bebauungsart war zur Erstellungszeit völlig neuartig.» Und weil das äussere Erscheinungsbild der Siedlung weitestgehend erhalten ist, steht sie seit 2013 im Inventar der schützenswerten Denkmäler. Als Vertreterin des vorliegenden Bautyps sei die Teppichsiedlung im Kanton Zug «einzigartig», sagt Saskia Roth von der Zuger Denkmalpflege. Aus diesem Grund werde ihr ein «sehr hoher kultureller Wert» attestiert.

 

Begeistert von der Teppichsiedlung sind nicht nur Fachleute, sondern auch Eigentümerinnen wie Judith Matter, die mit ihrem Mann die Liegenschaft Nr. 27a im Jahre 2015 erworben hat. Damals wohnte das Paar mit den beiden Kindern noch in einem alten Bauernhaus in Hünenberg und wollte eigentlich gar nicht umziehen. «Insofern kam der Hauskauf zur falschen Zeit», erklärt Judith Matter. Weil sich eine ähnliche Gelegenheit aber bestimmt kein zweites Mal ergeben würde, erwarb die Familie das 870 Quadratmeter grosse Grundstück trotzdem. Sie liess das Haus mit rund 120 Quadratmetern Wohnfläche sanieren und vermietete es, bis sie im Jahre 2021 selber einzog.

 

Für die Sanierung engagierte man das Architekturbüro Brandenberg & Müller Architekten aus Zug. Dieses setzte die baulichen Massnahmen so um, dass einerseits die Wünsche der Eigentümerschaft berücksichtigt wurden und andererseits die Handschrift der Erbauer lesbar blieb.Von Architektin Viola Müller war nichts anderes zu erwarten, schliesslich war sie früher Mitglied der vom Zuger Stimmvolk zu Grabe getragenen Denkmalkommission und ist heute noch als Konsulentin der Eidgenössischen Denkmalkommission tätig. Der sensible Umgang mit historisch bedeutsamen Bauten ist zentraler Bestandteil ihres Berufsverständnisses.

 

Schwerpunkt des Projekts Letzistrasse bildete die Sanierung des Dachs, des Vorhofs, der Einbau einer neuen Küche, die Realisierung von neuen Nasszellen sowie die Neukonzeption des Entrées. Eine später eingebaute Trennwand wurde abgebrochen, sodass ein neues Glaselement Entrée und Wohnraum wieder wie zur Bauzeit verbindet. Ein in die Jahre gekommener Spannteppich wurde durch Eichenparkett ersetzt, altes Deckentäfer in Zimmer und Gängen mit weiss verputzten Gipsdecken ersetzt. Den Heizungsraum im Keller, wo früher der Öltank stand, hat man flugs in einen begehbaren Kleiderschrank verwandelt, der mit einer Schiebetüre geschlossen werden kann.

 

Als auserlesene Details stechen die formschönen Tür- und Schubladenbeschläge ins Auge. Es sind jene, die seinerzeit auch Hafner & Wiederkehr verwendeten und die glücklicherweise noch erhältlich waren. Besonders überzeugend wirkt die Farbgebung an den Fensterpartien und den Originalradiatoren, die wieder wie ursprünglich in sattem Schwarz daherkommen und einen kräftigen Kontrast zu den weissen Wänden schaffen. Beim Ausblick ins Grüne werden an diesen Stellen faszinierende Bilder erzeugt – gerade so, als schaue man in das dunkelgerahmte Bild einer kunstvollen Landschaftsmalerei. Die neu eingesetzten, dreifachverglasten Fenster garantieren – genauso wie das neue Dach – gute Dämmwerte, was sich positiv auf die Energiebilanz des mit Gas beheizten Haushalts auswirkt.

 

Eine hohe Qualität weist auch die Umgebungsgestaltung auf, für die Hafner & Wiederkehr seinerzeit den angesehenen Schweizer Landschaftsarchitekten Fred Eicher beizog. Seine Arbeit mit stets subtilen, durchdachten Eingriffen in die Landschaft unter Verwendung von schlichten und klaren Formen prägte Generationen von Landschaftsarchitekten. Auch in der Zuger Teppichsiedlung hat Eicher gekonnt agiert. Mit den geraden Wegen aus grossen Betonplatten, die in Höfe und Sitzplätze übergehen, den Buchenhecken entlang der Wege, einer reduzierten Pflanzenwahl und präzis platzierten, einzelnen Bäumen schaffte er grosszügige Linien und Flächen, die sich wie selbstverständlich in das Bauwerk einpassen.

 

Und was ist mit Aufstockungen? Wäre es denkbar, die Teppichsiedlung in die Höhe zu erweitern und so mehr Wohnraum in der Letzi zu schaffen? Natürlich wurden solche Gedankenspiele auch schon angestellt. Gemäss Bauzone wäre die Aufstockung um ein Geschoss in der Teppichsiedlung tatsächlich möglich. Denn die Siedlung liegt in einer Wohnzone, welche gemäss Bauordnung grundsätzlich zwei Vollgeschosse zulässt. Auch die Stadtbildkommission hat sich 2001 im Rahmen eines konkreten Bauprojekts nicht grundsätzlich dagegen ausgesprochen.

 

Sie machte ihre Zustimmung aber von einer verbindlichen Definition des Baukastens, der Materialien und Farbgebung abhängig, um ein einheitliches Erscheinungsbild zu garantieren und ein unkontrolliertes Eigenleben der Fassade auch bei Aufstockungen zu verhindern.

Ob sich eine Aufstockung auch heute noch – also nach der Inventarisierung im Jahre 2013 – mit dem Schutzcharakter vertragen würde, müsste erneut geprüft werden. Denn die Ausgangslage ist eine andere.