PUBLIKATION

Kulturmagazin

ZUSAMMENARBEIT

Lorenz Ehrismann (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.7.2023

«NIEMAND MUSS KUNST MACHEN»

 

Daniela Schönbächler, Trägerin des Innerschweizer Kulturpreises 2023, über internationale Erfolge, Hartnäckigkeit, Kunst als Business und die Lust am Glas.

 

Ehre, wem Ehre gebührt – wann, wo und durch wen hast du erfahren, dass du Gewinnerin des Innerschweizer Kulturpreises 2023 bist?


Bei einem Mittagessen Ende Februar mit Regierungsrat Stephan Schleiss und Aldo Caviezel, Leiter des kantonalen Amts für Kultur. Ich ahnte nichts und dachte zuerst, wir holten ein Essen nach, das 2021 coronabedingt ausfallen musste, als mein Werk «Pièce d’Eau» beim Zuger Regierungsgebäude eingeweiht wurde. Doch beim Essen eröffneten mir die Herren zu meiner grossen Überraschung plötzlich, dass ich diese Auszeichnung erhalten würde.


Der Preis ist mit 25'000 Franken dotiert. Was bedeutet er Dir?

 

Primär sehe ich darin Wertschätzung und Anerkennung. Der Preis zeigt mir, dass meine Arbeit auch in der Innerschweiz «angekommen» ist und wahrgenommen wird. Das tut gut, motiviert und gibt Kraft weiterzuarbeiten. Gleichzeitig darf man nicht meinen, dass sich dadurch das gesamte Schaffen verändert. Toll ist, dass ich diese Anerkennung zu einem Zeitpunkt erhalte, wo ich mich nicht am Ende einer Karriere befinde, sondern mitten im Leben stehe. Insofern stellt der Preis eine Etappe auf einem hoffentlich noch langen Weg dar.

 

Du arbeitest international und hast im Ausland grössere Projekt im öffentlichen Raum realisiert, bist aber auch in der Schweiz präsent. Suchst du deine Projektorte bewusst aus?


Meine Präsenz als Künstlerin im Ausland erklärt sich damit, dass ich seit Mitte der 1990er-Jahre im Ausland lebe und arbeite und an internationalen Wettbewerben teilnehme. Ich war schon immer eine Nomadin, habe nie nur an einem Standort gearbeitet. Da würde mir etwas fehlen. Es würde mir zu eng und repetitiv. Gleichzeitig gefällt es mir, in meiner Heimat – der Schweiz – etwas Künstlerisches von mir zu hinterlassen. Ich halte mich oft und gerne in meinem Atelier im luzernischen Wauwil auf, bin aber nach wie vor viel unterwegs und arbeite in London und Venedig, sei es für eigene Projekte, im Rahmen von Workshops oder meiner Tätigkeit als Dozentin.


Viele deiner Werke sind technisch komplex, wirken in grossen Dimensionen und prägen den öffentlichen Raum dezidiert. Ist dies mit einer besonderen Verantwortung verbunden?


Absolut. Ich sehe mich da in der gleichen Pflicht wie ein Architekt, der einen hohen qualitativen Anspruch hat. Ich realisiere zwar kein Gebäude, aber permanente Installationen, die teilweise an stark frequentierten, populären Orten stehen und jeder Witterung trotzen müssen. Das setzt voraus, dass ich mich über Wochen, manchmal gar Monate oder Jahre mit einem Projekt auseinandersetze. Bei «The Lantern», einem acht Meter hohen Zylinder, der auf einem Turm in der Innenstadt von Oxford UK steht, vergingen von der Planung bis zur Installation des mit 78 Glasscheiben versetzten filigranen Chromstahlgerüsts fast vier Jahre. Der nach oben offene Glaskörper arbeitet mit dem Tageslicht, nimmt die Farben des Himmels auf, lässt die Installation je nach Tageszeit anders wirken und zaubert unterschiedliche Stimmungen in die Skyline von Oxford.

 

Sind diese Effekte der Grund, warum du so oft mit Glas arbeitest? In «Reflektorium», einer raumähnlichen Installation, vervielfältigen zwanzig Spiegelplatten die Umgebung des Schulhausplatzes in Oberägeri ins Unendliche.


Glas fasziniert mich und fordert mich heraus. Ich musste damit Erfahrung sammeln und habe im Laufe der Jahre viel über dieses Material gelernt. Glas eignet sich für meine Arbeit sehr gut, weil es reflektiert, transparent und lichtdurchlässig ist und eine Wechselwirkung erzeugen kann. Toll finde ich auch die Arbeit mit Spionglas, wo je nach Seite und Dämpfungsgrad eintreffendes Licht reflektiert oder absorbiert wird. Teilverspiegeltes Glas verwendete ich für meine Installation «Infinitum», die ich 2018 im Erneuerungsbau des Pflegezentrums Ennetsee Cham realisiert habe. Der über drei Meter grosse Glaskreis ist unter der Oberfläche mit einer subtilen Metallstruktur verbunden. Beim Durchblick entdeckt der Betrachter ein Lichtgewebe, welches sich farblich wie formlich endlos verändert. Es entstehen Reflexionen, die sich im Inneren des Werkes multiplizieren und surreale Tiefenwirkungen erzeugen. Inhaltlich nimmt «Infinitum» auch Bezug auf die Situation der Bewohner des Pflegezentrums, da es mit dem Thema der Endlichkeit und Unendlichkeit spielt.

 

Kunst am Bau – Kunst und Bau – wie immer man die Disziplin nennen will: Du setzt dich intensiv mit der Nutzung von Bauwerken auseinander. Entsprechend kommt der Planung ein hoher Stellenwert zu. Wie viel Raum bleibt für Kreativität?


Am Anfang eines Auftrags steht immer eine kreative Idee und es folgt eine Phase, in der ich auch experimentieren muss. Aber wenn klar ist, was entsteht, verläuft der Prozess stringent. Das hat damit zu tun, dass ich fast immer mit Fachleuten zusammenarbeite: mit Architekten, Metallbauschlossern, Bau- und Elektroingenieuren. Da gibt es einen Zeitplan, der eingehalten werden muss. Was die Begrifflichkeit meiner Disziplin angeht, stiess ich neulich auf den Begriff «Baukunst» und fand, dass dieser meine Arbeit ziemlich gut umschreibt. Auf mein Werk «Wilder Walk» in London trifft er jedenfalls zu hundert Prozent zu.


Hier galt es, ein Kunstwerk als integralen Bestandteil eines Bauwerks – nämlich einer Fussgängerpassage – aus Glasschichten und sequenziellen LED Lichtkompositionen auszugestalten.

 

Ja, die Arbeit resultierte aus einem gewonnenen Wettbewerb, der im Rahmen einer Städteplanung stattfand. Der Auftrag bedeutete mir aus verschiedenen Gründen viel. Zum einen ist der Standort – im Zentrum Londons, zwischen Piccadilly Circus und Regent Street – äusserst prestigeträchtig. Zum anderen war der Auftraggeber «The Crown Estate», also die englische Krone. Das Projekt musste technisch bis ins letzte Detail geplant und in seiner Ausführung mit dem Architekturbüro abgestimmt sein. Entsprechend viel Zeit investierte ich auch hier. Bis heute freue ich mich, dass die Passage auch 12 Jahre nach der Eröffnung täglich mit Tausenden von Fussgängern interagiert und deren räumliche Wahrnehmung herausfordert.

 

Vor rund einem Jahr hast du den vom Kanton Zug organisierten Wettbewerb für einen Kunstbeitrag auf dem Theiler-Areal gewonnen und kannst nun an einem wirtschaftshistorisch besonders wichtigen Standort ein Projekt realisieren. Was ist geplant?


Ich werde auf dem Vorplatz des Theilerhauses ein Werk realisieren, das sich mit der Industriegeschichte der Landis & Gyr auseinandersetzt, die auf diesem Areal 1896 ihr erstes Fabrikgebäude baute und dort ihre Stromzähler produzierte. Mein Projekt heisst «kWh». Realisiert wird eine Licht-Glas-Installation, die per Funk den aktuellen Stromverbrauch der umliegenden Gebäude misst und diese Daten in Bilder umwandelt. Das sieben Meter hohe, eckige, hohle Volumen verändert sich also kontinuierlich, und zwar bezüglich Farbtonalität und Intensität. Der PC, die Software, die Elektronik und die Steuerung der Installation laufen über einen Schaltschrank, welcher im Untergeschoss des Theilerhauses integriert ist. Spannend wird sein, wie das fertige Werk mit dem Publikum interagiert. Dies ist für mich mindestens so zentral wie der Aufwand, den ich selber in ein Kunstwerk stecke. «Wilder Walk» beispielsweise hat im Laufe der Jahre eine veritable Eigendynamik entwickelt. Die Leute fotografieren die Passage und posten die Bilder auf Instagram.


Zurück zum Kulturpreis und zum Thema Geld: Junge Künstler klagen mitunter, ihre Arbeit würde nicht angemessen entschädigt, zu Tiefstpreisen würden sie gesellschaftlich relevante Arbeit leisten.


Niemand muss Kunst machen. Das ist ein freier Entscheid. Und es ist klar, dass in der Kunst nicht das grosse Geld winkt, es sei denn, man sei erfolgreich im Kunsthandel tätig. Wichtig scheint mir, dass man sich nicht von staatlicher Unterstützung abhängig macht. Es ist wunderbar, einen Preis zu gewinnen, aber man darf nicht auf Subventionen bauen. Ich selbst habe bis heute keine staatlich betriebenen Atelierplätze beansprucht, wo man für mehrere Monate im Ausland weilt. Aber ich bin schon in jungen Jahren ins Ausland gezogen, habe in Paris Architektur studiert, mir später auch in London und Venedig ein Netzwerk aufgebaut und Aufträge akquiriert. Schon damals realisierte ich: Kunstschaffende in der Schweiz sind – auch dank der Subventionen – sehr privilegiert. Jammern bringt nichts. Zum Künstlerdasein gehört, dass man nicht zu allen Bedingungen Ja sagt, sondern auch ablehnt, wenn kein Budget für ein Projekt da ist. Ich arbeite seit 30 Jahren professionell und lebe von meiner Kunst. Das geht nur, wenn man Kunst auch als Business versteht, die nötige Hartnäckigkeit an den Tag legt und Chancen packt, die sich ergeben.

 

ENDE LAUFTEXT

 

Renommierter Kulturpreis für Kulturschaffende der Zentralschweiz

 

Der mit 25'000 Franken dotierte Innerschweizer Kulturpreis wird von der Innerschweizer Kulturstiftung vergeben. Er geht seit 1974 wechselnd und jährlich an Kulturschaffende aus den Kantonen Zug, Schwyz, Uri, Luzern, Ob- und Nidwalden. Die bisherige Preisvergabe deckt praktisch das gesamte Spektrum kulturellen und wissenschaftlichen Schaffens ab. Bewerben kann man sich nicht. Ein siebenköpfiger Stiftungsrat evaluiert und entscheidet. Daniela Schönbächler wird gemäss Stiftungsrat für ihre transdisziplinären und installativen Arbeiten in den Bereichen der Bildenden Kunst, der Architektur, der Fotografie und der digitalen Kunst gewürdigt. Ihre nationalen und internationalen Arbeiten, so die Begründung, hätten eine grosse Strahlkraft.