PUBLIKATION

Denkmaljournal

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

28.3.2023

HOFHAUS STATT HOCHHAUS

 

Anfang der 1960er Jahre realisierte die Korporation Zug im Zuger Letzi-Quartier eine Siedlung mit Reiheneinfamilienhäusern, die unter dem Namen «Teppichsiedlung» bekannt wurde. Das Haus Nr. 27a wurde unlängst saniert und an heutige Wohnbedürfnisse angepasst.

 

Die Häuser der «Teppichsiedlung» im Zuger Letzi-Quartier sind so flach, dass man seinen
Augen nicht traut. Ist das wahr? Existieren in der Kantonshauptstadt, wo das Motto «verdichten, verdichten, verdichten» lautet, tatsächlich noch solche Bauten? Was für ein Luxus! Was für eine Wohltat – für Passantinnen und für die Bewohner, die in diesem Wohnquartier zu Hause sind. Nahe von Zentrum und Bahnhof, nahe von Schulen und Freizeitanlagen, nahe von Landwirtschaftszon und See, direkt an den Ufern der Lorze. Willkommen in einem Stück heile Welt, die aus neunzehn nahezu identischen Reiheneinfamilienhäusern besteht, die in den 1960er Jahren vom Architekturbüro Hafner & Wiederkehr im Auftrag der Korporation Zug realisiert wurden. Dank der kompakten und kostengünstigen Bauweise waren die fünfeinhalb Zimmer umfassenden Wohneinheiten bei Fertigstellung auch für die Mittelschicht erschwinglich.

 

Doch warum Teppichsiedlung? Natürlich wegen der eingeschossigen Bauhöhe und der flächenhaften Ausdehnung der aneinandergebauten Häuser, die im Gesamtbild wie ein einheitlich verwobener Wohnteppich wirken. Charakteristisch für die Disposition sind die hofartigen Eingangsbereiche und die halboffenen Sitzplätze mit den quadratischen Zementplatten, die weiss gestrichenen Putzwände, das Mauerwerk aus Sichtbackstein, die dunkel gestrichenen Holzschalungen und natürlich die Flachdächer. «Die Teppichsiedlung ist ein baukultureller Höhepunkt im Letzi-Quartier», schreibt der Architekturjournalist Michael Hanak in einer Publikation über die Zuger Nachkriegsmoderne. «Deren Bebauungsart war zur Erstellungszeit völlig neuartig.» Und weil das äussere Erscheinungsbild der Siedlung weitestgehend erhalten ist, steht sie seit 2013 im Inventar der schützenswerten Denkmäler. 

 

«Für mich ist die Inventarisierung ein Qualitätsmerkmal, das sich verstärkte, als ich mich näher mit dem Haus auseinandersetzte», sagt Judith Matter. Mit ihrem Mann hat sie die Liegenschaft Letzistrasse 27a im Jahre 2015 erworben. Damals wohnte das Paar mit den beiden Kindern noch in einem alten Bauernhaus in Hünenberg und wollte eigentlich gar nicht umziehen. «Insofern kam der Hauskauf zur falschen Zeit», erklärt Judith Matter. Weil sich eine ähnliche Gelegenheit aber bestimmt kein zweites Mal ergeben würde, erwarb die Familie das 870 Quadratmeter grosse Grundstück mit rund 120 Quadratmetern Wohnfläche trotzdem, liess es sanieren und vermietete es, bis sie im Jahre 2021 selber einzog. Für die Sanierung engagierte man die Brandenberg und Müller Architekten mit Standorten in Zug und Zürich.

 

Das Büro befasste sich zunächst eingehend mit der Geschichte der Siedlung und setzte entsprechende Massnahmen so um, dass einerseits die Wünsche der Eigentümerschaft berücksichtigt wurden und anderseits die Handschrift der Erbauer lesbar blieb. Von Architektin Viola Müller war nichts anderes zu erwarten. Schliesslich war sie früher Mitglied der vom Zuger Stimmvolk zu Grabe getragenen Denkmalkommission, ist seit mehreren Jahren Mitglied der Zürcher Denkmalpflegekommission und ebenso als Konsulentin der Eidgenössischen Denkmalkommission tätig. Der sensible Umgang mit historisch bedeutsamen Bauten ist somit zentraler Teil ihres Berufsverständnisses.

 

Schwerpunkt des Projekts Letzistrasse bildete die Sanierung des Dachs, des Vorhofes, der Einbau einer neuen Küche, die Realisierung von neuen Nasszellen sowie die Neukonzeption des Entrées. Eine später eingebaute Trennwand wurde abgebrochen, so dass ein neues Glaselement Entrée und Wohnraum wieder wie zur Bauzeit verbindet. Ein in die Jahre gekommener Spannteppich wurde durch Eichenparkett ersetzt, altes Deckentäfer in Zimmer und Gängen mit weiss verputzten Gipsdecken ersetzt. Den Heizungsraum im Keller, wo früher der Öltank stand, hat man flugs in einen begehbaren Kleiderschrank verwandelt, der mit einer Schiebetüre geschlossen werden kann. Als auserlesene Details stechen die formschönen Türund Schubladenbeschläge ins Auge. Es sind jene, die seinerzeit auch Hafner & Wiederkehr verwendeten, und die zum Glück noch erhältlich

waren.

 

Besonders überzeugend wirkt die neue Farbgebung an den Fensterpartien und den Original- Radiatoren, die wieder wie ursprünglich in sattem Schwarz daherkommen und einen kräftigen
Kontrast zu den weissen Wänden schaffen. Beim Ausblick ins Grüne werden an diesen Stellen faszinierende Bilder erzeugt – gerade so, als schaue man in das dunkelgerahmte Bild einer kunstvollen Landschaftsmalerei. Bei den neu eingesetzten, dreifachverglasten Fenstern gerät Judith Matter aber noch aus einem anderen Grund ins Schwärmen: Sie garantieren (genauso
wie das neue Dach) gute Dämmwerte, was sich gemäss neusten Infrarottests positiv auf die Energiebilanz des mit Gas beheizten Haushalts in diesem schützenswerten Denkmal auswirkt.

 

Interessant ist, dass in der Teppichsiedlung bis heute noch Eigentümer wohnen, die in den
1960er Jahren ein Haus erworben haben und also der «Ursprungsbesetzung» angehören. Und bis heute ist die Eigentümergemeinschaft als sogenanntes «Konsortium» organisiert. Dieses definiert gemeinsam Rahmenbedingungen des Zusammenlebens sowie Regeln bezüglich Wegund Pflanzrechten. Apropos Wege und Pflanzen: Die Umgebungsgestaltung der Teppichsiedlung stammt von einem berühmten Gartenarchitekten: Fred Eicher. «Mit den geraden Wegen aus grossen Betonplatten, die in die Höfe und Sitzplätze übergehen, den Buchenhecken entlang der Wege, einer reduzierten Pflanzenwahl und präzis platzierten, einzelnen Bäumen schaffte er grosszügige Linien und Flächen, die sich wie selbstverständlich in die schlichte Architektursprache der Teppichsiedlung einpassen», so Saskia Roth von der Zuger Denkmalpflege.

 

Mehr noch: Fred Eicher sei ein veritabler Pionier gewesen. «Statt liebliche Wohngärten mit geschwungenen Wegen und akkurat arrangierten Staudenbeeten setzte er auf grosszügige Linien und klare Räume.» Entsprechend erfolgte auch die Erneuerung des Gartens von Haus Nr. 27a, der über die Jahrzehnte an ursprünglichem Charme eingebüsst hatte. Störende Holzhütten wurden entfernt, neue Aussenwege passend zu Haus und Hof angelegt sowie Stauden platziert. Das ausgestreute Saatgut, das nun in Form von kleinen Gräsern und Pflänzchen zwischen den Steinen emporwächst, verleiht dem ansonsten schlichten Garten eine gewisse Verspieltheit. Bewusst verzichtet wurde auf die Realisierung eines Wintergartens.

 

Und was ist mit Aufstockungen? Wäre es denkbar, die Teppichsiedlung in die Höhe zu erweitern und so mehr Wohnraum in der Letzi zu schaffen? Natürlich wurden solche Gedankenspiele auch schon angestellt. Und das Thema «Weiterbauen» ist in der Denkmalbranche aufgrund des Wachstums sowie dem steigenden Bedürfnis nach Wohnfläche aktueller denn je. Es stand 2020 sogar im Zentrum der Europäischen Denkmaltage, an denen sich auch der Kanton Zug regelmässig beteiligt. Gemäss Bauzone wäre die Aufstockung um ein Geschoss in der Teppichsiedlung tatsächlich möglich. Auch die Stadtbildkommission hat sich 2001 im Rahmen eines konkreten Bauprojekts nicht grundsätzlich dagegen ausgesprochen. Sie machte ihre Zustimmung aber von einer verbindlichen Definition des Baukastens, der Materialien und Farbgebung abhängig, um ein einheitliches Erscheinungsbild zu garantieren und ein unkontrolliertes  Eigenleben der Fassade auch bei Aufstockungen zu verhindern.

 

Ob sich eine Aufstockung auch heute noch – also nach der Inventarisierung im Jahre 2013 – mit dem Schutzcharakter vertragen würde, müsste erneut geprüft werden. Denn die Ausgangslage ist eine andere.

 

Involvierte Firmen: Brandenberg und Müller Architekten, Zug; Walter Hürlimann AG, Walchwil; Leo Ohnsorg AG, Cham; Leo Baumgartner AG, Zug; Maler Matter AG, Baar; Keller Systeme AG, Pfungen; Involvierte Amt für Denkmalpflege und Archäologie: Oliver Tschirky (Baubegleitung), Saskia Roth (Fachbericht)

 

Das Denkmal in Kürze


Die Teppichsiedlung besteht aus 19 praktisch identischen eingeschossigen Reiheneinfamilienhäusern und umfasst die Letzistrasse 25–43 und 27a–43a. Sie wurde vom Büro Hafner & Wiederkehr zwischen 1963 und 1964 realisiert und besteht aus sechs Häusergruppen, die in zwei versetzten Häuserzeilen parallel zur Lorze verlaufen. Charakteristisch sind nebst den Flachdächern die offenen Höfe im Eingangs- und Gartenbereich, die weiss gestrichenen Putzwände, das Mauerwerk aus Sichtbackstein und die dunkeln Holzschalungen. Dank einer schlichten und kostengünstigen Bauweise waren die Häuser zur Bauzeit auch für Normalverdiener erschwinglich.