PUBLIKATION

Basler Zeitung

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

13.6.2007

«KAUFE NUR, WENN ES MICH PACKT»

 

Dass Thomas Spielmann, ein grosser, 54-jähriger Mann mit eigenwilliger Haarpracht, Kunst liebt, Kunst kauft, Kunst besitzt und Kunst ausstellt, steht fest. Aber ist er deshalb ein Kunstsammler?

 

«Ich mag die Bezeichnung nicht. Sie tönt nach Horten und hat einen starren Impetus. Für mich ist Kunst lebendig, sie bewegt und verändert sich.»

 

Wer, der kurz nach dem Bahnhof Davos Dorf links abbiegt und die kleine Asphaltstrasse entlangfährt, kann schon ahnen, dass er sich einem Haus nähert, das Dutzende von zeitgenössischen Kunstwerken beheimatet? Das weiss gestrichene Riegelhaus mit dem gewaltigen Giebeldach könnte als Ferienresidenz gehobenen Standards durchgehen. Doch der gebürtige Solothurner und gelernte Zahnmediziner wohnt, lebt und wirkt hier. «Alleine», sagt er. «Das heisst, zusammen mit meiner Kunst.» Öffnet die dicke Holztür und schon steht man mitten drin in seinem › man kann es durchaus so nennen › «Kunsthaus».


Eine aus Holz geschnitzte Frauenfigur des St. Galler Künstlers Felix Josef Müller steht, einer Empfangsdame ähnlich, mitten im Entrée. Gegenüber hängt ein grossflächiger Holzschnitt von Franz Gertsch, gleich daneben zwei sinnliche Farbfotografien der Künstlerin Marianne Müller, und auf dem Boden präsentiert sich die Arbeit des in New York lebenden Schweizer Künstlers Christoph Draeger, ein Spazierstock in einem Steinsockel fixiert, darin gemeisselt die Universalfrage «quo vadis?», die Spielmann jetzt laut sich selber stellt.


Das frage er sich angesichts der wachsenden Zahl gegenständlicher «Mitbewohner» manchmal auch. Wohin mit all der Kunst, die sich während seiner über 30-jährigen Sammlertätigkeit kumuliert hat? In einem Nebenzimmer lagern, fein säuberlich verpackt, drei Dutzend gerahmte Bilder, die keinen Wandplatz haben. Vom Depot, das Spielmann ausserhalb von Davos unterhält, gar nicht zu sprechen. «Ich kann nicht alles gleichzeitig aufhängen», entschuldigt er sich.


«Null Ordnung» herrsche überdies in der drei Meter hohen Bücherwand, deren Inhalt gut und gerne tausend Kilo wiegt, allein schon wegen der gewichtigen Monografien und sonstigen Bücher über Kunst und Philosophie von Alberto Giacometti, Rothko, Warhol, der Kunsttheorie von Harrison und Wood, dem Philosophen Peter Sloterdijk, Urs Lüthi und vielen anderen.


Als leidenschaftlicher Zeitgenosse, der sich für das Hier und Jetzt begeistere, habe er sich schon immer am meisten für moderne Kunst interessiert, nicht «rückwärts zu sammeln, sondern vorwärts zu sammeln». Ihn begeistern Arbeiten von jüngeren Künstlern, die in die Zukunft blicken, die er als talentiert einstuft und von denen, so hofft er, man später noch hören wird.


Neugierde sei sein Antrieb und die Ambition, eine Entdeckung zu machen, bevor die grossen Haie des Kunstbetriebs das grosse Geld wittern. Als Beispiele nennt er das aus Maienfeld stammende Künstlerduo Gabriela Gerber/Lukas Bardill, ferner die in Zürich arbeitende Daniela Kaiser, von deren Sensitivität er fasziniert ist, und die Künstlerin Martina Gmür, ob deren poetischer Leichtigkeit Spielmann ins Schwärmen gerät. Letztere ist mit Jahrgang 1979 eine der jüngsten von Spielmanns geförderten Künstlerinnen, deren Schaffen er seit geraumer Zeit exakt verfolgt.


«Es macht Freude, zu sehen, wie sich ein Künstler entwickelt, wie er über Jahre hinweg nach einer eigenständigen Ausdrucksform sucht und diese findet», sagt Spielmann und zeigt auf eine Fotografie, die ein grell beleuchtetes Pistenfahrzeug in der Schneemasse zeigt. Es stammt aus der Serie «snowmanagement» des Davosers Jules Spinatsch. Bereits in seinen Anfangszeiten hat Spielmann ihn unterstützt.


Heute gehört der 43-Jährige zu den erfolgreichsten Fotokünstlern seiner Generation und schaffte international den Durchbruch. «Wenn es ein Künstler an die Spitze schafft, freue ich mich mit ihm», meint Spielmann, strahlt durch die Gläser seiner schwarzen Hornbrille und bekräftigt: «Es geht aber nicht um die Wertsteigerung, die dadurch eventuell auch die von mir erstandenen Arbeiten erfahren, sondern allein um die Durchsetzungskraft der Kunst.»


Wirklich? Die Negierung pekuniärer Absichten folgt bei Sammlern wie das Amen in der Kirche. So sei es aber, sagt Spielmann und betont, noch nie Kunst gekauft zu haben, mit der Absicht, damit Geld zu verdienen. Dafür gehe er einem ordentlichen Beruf nach. Die Auseinandersetzung mit dem Inhalt, der persönliche Kontakt zum Künstler, das sei es, was zähle und ihn bereichere und natürlich auch ein intensiver Kontakt mit seinen beiden Galeristen Diego und Gilli Stampa der Galerie Stampa in Basel, denen er durch die langjährige Zusammenarbeit auch freundschaftlich verbunden ist.

 

«Ich lasse mich vom Inhalt der Kunst berühren und kaufe nur, wenn es mich packt.» Was nicht heisst, dass nicht hin und wieder auch die Preise eines Künstlers explodieren, der in seiner Sammlung vertreten ist. Eine kleine Hirschhorn-Arbeit, vor rund zehn Jahren für gut 1000 Franken erworben, dürfte ihren Wert vervielfacht haben. Dasselbe gilt wohl auch für die vor Jahren erstandenen Arbeiten des Künstlers Jason Rhoades sowie des Amerikaners Richard Chamberlin. Umgekehrt verlief es mit einem Teppich von Diego Giacometti, den Spielmann vor etwa zwanzig Jahren in Paris für ein paar Tausend Franken erstanden hatte. Aus Platznot verkaufte er den Teppich später wieder, bis dieser schliesslich Jahre später auf einer Auktion für ein Vielfaches an Dollars veräussert wurde.


Geärgert habe er sich darüber nicht. «Vom Hype des Kunstmarkts darf sich ein Sammler nicht verrückt machen lassen. Am besten, man hält Distanz und konzentriert sich auf seine eigene Strategie.» Den eigenen Sensoren vertrauen, lautet sie bei Spielmann, die innere Ruhe und Freude an jedem einzelnen Kunstwerk bewahren, beherzt bei der Sache sein. Dazu gehöre auch, dass man realisiere, wenn ein Kunstwerk in der Sammlung seinen Platz verloren habe. «Nicht jedes Kunstwerk muss auf immer und ewig bei mir bleiben», sagt Spielmann. Immer wieder verkaufe er auch Stücke aus der Sammlung, etwa wenn eine Arbeit ihn nicht mehr beglücke, ihn nicht mehr bewege oder inspiriere. Das sei aber ein wohlüberlegter Prozess, der sich oft über Monate erstrecke.


Manchmal sei eine Arbeit einfach nur schlecht platziert und gewinne durch einen Standortwechsel an Strahlkraft. Betörend wirkt der in Bronze gegossene Kuhfladen des Bündner Künstlers Not Vital, zu Füssen einer pastellfarbenen Malerei auf  Metall von Adrian Schiess. Mutig auch die Korrespondenz der beiden Körperfotografien von Hannah Villiger einerseits und Franziska Wüsten anderseits. Die eine nüchtern-ernst, die andere heiter-subversiv.


Kunst spielte im Elternhaus von Thomas Spielmann keine Rolle. «Ich ging selber auf sie zu», erinnert sich der Zahnmediziner, der sich bereits mit 16 Jahren sein erstes Kunstwerk, eine Serigrafie von Alfonso Hüppi, kaufte. Seither hat es ihn nicht mehr losgelassen. Ein Besuch in seiner Arztpraxis wird für Kunstliebhaber die reine Freude. Kunst, wohin das Auge reicht. Gut instruiert habe er das Putzpersonal, welches in der Praxis für Sauberkeit und Ordnung sorge.


Damit auf keinen Fall das Gleiche passiert wie einst zu Hause. Die Putzfrau hantierte mit dem Staubsauger etwas gar schwungvoll und touchierte das Kunstwerk «Von Zeit zu Zeit» von Daniela Kaiser, bestehend aus fünf mit Sand gefüllten Glasvasen, von denen eine in die Brüche ging. «Alles halb so schlimm», sagt Spielmann, der das Werk jetzt reparieren lässt. «Kunst lebt, Kunst bewegt, Kunst verändert sich.»