PUBLIKATION

Schweizer Familie
 

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

18.9.2007

ACHTUNG SCHMUTZ

 

 

Das A4-Papier auf dem Küchentisch, das ich im Appartement meiner Grosstante in Paris  vorfand, verhiess Gutes: «WILLKOMMEN!» stand da zur Begrüssung in fetten Buchstaben. Doch bereits der nächste Satz machte klar, dass mir Sandrine ihre Wohnung nur ungern überliess. Zu gross war ihre Sorge, die Einrichtung könnte Schaden von meinem zweitägigen Aufenthalt nehmen. «Diese Wohnung ist meine grosse Freude. Flecken und Hicke betrüben mich», hiess es auf der sorgsam, von Hand verfassten Notiz, gefolgt von einer Auflistung wichtigster Verhaltensregeln:

 

+Hausschuhe oder Socken anziehen (die Nachbarn unten hören jeden Schritt – vor allem nach 22 Uhr)
+ Stets Haustüre von innen richtig abschliessen, nicht nur ziehen!
+ Bitte nicht auf dem Sofa essen (Flecken!)
+ Beim Verlassen der Wohnung Vorhänge ziehen    (Farbe des Sofas!)
+ Marmortischlein ist säureempfindlich (Wein, Sugo)
+ Durchsichtiges Kunststoffbrett immer auf «Arbeitsfläche» lassen (für Zwiebeln Holzbrett!)
+ Nichts Feuchtes auf hölzernen Kleiderständer
+ Aufpassen auf Keramikboden – keine harten Gegenstände fallen lassen (Spalte, Hicke)
+ Japanische Teekanne: Nach Gebrauch immer gut abtrocknen
+ Duschvorhang nach Gebrauch ziehen (Schimmel!)
+ Zum Putzen praktisch: kleiner Besen mit Bienenwachs-Wergwerftüchern

 

Witzigerweise wurden diese Verbote und Anweisungen unter dem Titel «Wünsche und Ratschläge» zusammengefasst; die typisch verharmlosende Ausrucksweise für Menschen, denen ihr total krankhafter Sauberkeits- und Ordnungswahn selber zwar bewusst, aber unangenehm ist. Lustig auch der Tipp «zum Putzen praktisch», welcher vordergründig auf den - ach! - so praktischen Besen im Schrank hinweist, in Tat und Wahrheit aber schlicht einem Befehl gleichkommt, die Wohnung bei der Abreise gefälligst feucht aufzunehmen, natürlich auch dann, wenn keine Notwendigkeit besteht (sicher ist sicher!)

 

Je länger ich auf Sandrines Liste starrte, desto grösster wurde die Lust, auf dem crèmefarbenen Stoffsofa mit hochgelagerten Dreckschuhen eine kleckernde, mit heisser Schockolade gefüllte Crêpes  zu essen, dazu in voller Lautstärke die neuste CD von «noir désir» zu hören und anschliessend wie wild mit den Stöckelschuhen auf dem Marmortisch abzutanzen. Stattdessen zog ich mir ein paar Socken über schlich auf leisen Sohlen ins Schlafzimmer.