PUBLIKATION

Stadtmagazin

ZUSAMMENARBEIT

Stefan Kaiser (Foto)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.7.2023

HEUTE STIERIG, MORGEN KLANGVOLL

 

Verena Krummenacher über Esoterik und echte Naturverbundenheit auf dem Hof Chellenweid.

 

Auf eurem Hof sticht eine grosse Tafel ins Auge. Darauf ist von «Entschleunigung» und «Auszeit» die Rede und man fragt sich: Handelt es sich um einen Bauernhof oder ein esoterisches Zentrum?


Sowohl als auch. Mein Mann führt den Bauernhof, ich kümmere mich um das Zentrum, das Beratung und Workshops anbietet. Der Begriff esoterisch gefällt mir nicht. Er hat einen abgehobenen Beigeschmack. Ich aber bin eine bodenständige, geerdete Frau. Ich lebe schlicht und einfach im Einklang mit der Natur.


Bist du hier aufgewachsen?


Ja, zusammen mit zwei Geschwistern. Weil ausser mir niemand Interesse am Hof hatte, bin ich zurückgekommen und habe den Betrieb 2005 gemeinsam mit meinem Mann Werner übernommen. Schon als kleines Kind war ich naturverbunden, sass oft in der Wiese, pflückte Blümchen, machte Kränzchen. Wenn mein Vater mit dem Traktor durch die noch feuchte Wiese fuhr, war ich fasziniert von den dicken Spuren, die der Pneu hinterliess. Aus der aufgeweichten Erde knetete ich ganze Kolonien von Erdmännchen.


Auf der Suche nach sinnlichen Naturerlebnissen sind heute auch viele gestresste Stadtmenschen.


Deshalb bringe ich mit meinem Kursangebot die Menschen der Natur und sich selbst wieder näher. Das funktioniert hier oben in der Abgeschiedenheit auf 970 Metern über Meer wunderbar. Wenn wir zum Beispiel gemeinsam auf eine Klangreise gehen, verbinden wir uns mit den wundervollen Geräuschen der Natur und der Tierwelt.


Klangreisen?


Das sind Reisen in die innere Stille. Mit Gongs und Klangschalen kommen Menschen zur Ruhe. Sie erleben eine Harmonisierung von Körper, Geist und Seele, welche mit den heilsamen Klängen der archaischen Instrumente in tiefe Resonanz gehen. Denn Klangschwingungen wirken sich unmittelbar und positiv auf unser Wohlbefinden aus.


In meinen Ohren klingt das esoterisch.

 

Kann sein. Aber unsere Angebote entsprechen einem Bedürfnis. Langweilig wird mir ohnehin nicht. Denn ich habe auch noch einen «weltlichen Job», wo ich als Angestellte einer Firma administrativ tätig bin. Auch mein Mann arbeitet noch auswärts. Der Hof alleine wirft zu wenig ab und reicht als Einnahmequelle nicht aus.

 

Als IP-Suisse-Produzenten steht ihr für eine tiergerechte, umweltfreundliche Produktion.

 

Wir achten auf eine naturnahe Bewirtschaftung und legen grossen Wert auf einen geschlossenen Nährstoffkreislauf. Das heisst, dass wir beispielsweise ohne Futtermittelzukäufe auskommen. Unser Tierbestand ist klein. Er besteht aus rund 30 Tieren: 15 Kühen und deren Kälbern. Wir setzen auf Mutterkuhhaltung, denn die Kälber-Aufzucht in der Mutterkuhherde ist die natürlichste Haltungsform. Kühe und Kälber leben in einer grossen Familie zusammen. Die Kälber sind von Geburt an bei ihren Müttern und trinken die Milch direkt vom Euter. Zum Tierbestand gehören auch noch unser Hofhund und ein paar Schafe.


Wo ist der Stier?


Jumper, so heisst er, lebt auch im Laufstall und macht seinen Job. Er merkt genau, wenn eine Kuh «stierig» ist und läuft ihr so lange nach, bis sie bereit für die Paarung ist. Die hornlose Weiderasse aus Schottland ist gutmütig, anpassungsfähig, robust und lässt sich gut einkreuzen mit anderen Rassen. Der kraushaarige Jumper passt also perfekt zu unseren «Hofdamen». Dank der Fütterung mit hofeigenem Gras, Heu und Silage produzieren wir hochwertigstes Kalbs- und Rinds-Label-Fleisch.

 

Landwirte erhalten nicht nur Direktzahlungen. Sie unterliegen im Gegenzug zahlreichen Vorschriften.


Allerdings. Mutterkühe und Kälber müssen jeden Tag nach draussen und sich an der frischen Luft in einem sogenannten Laufhof aufhalten können. Sie dürfen zudem nicht angebunden sein. Während der Vegetationsperiode haben Mutterkühe und Kälber Anrecht auf Weidegang. Das ist manchmal gar nicht so einfach, weil hier oben auf fast 1000 Metern der Boden oftmals noch lange nass oder gar mit Schnee bedeckt ist. Wie andere IP-Bauern auch, führen wir ein Auslauf- und Weidejournal, wo dies alles im Detail festgehalten wird. Regelmässig finden zudem angemeldete oder unangemeldete Kontrollen statt.


Wie erlebst du den immer grösser werdenden Andrang der Freizeitbevölkerung auf den Zugerberg?


Seit Corona merken wir eine grosse Veränderung. Zum Glück liegt unser Hof etwas abseits der populären Wege. Die meisten Leute marschieren vom Vorderen Geissboden via Schattwäldli zum Hinteren Geissboden und lassen uns sozusagen rechts liegen. Dennoch gibt es auch Wanderer, die Richtung Chellenweid oder Horbach unterwegs sind. Wenn sie dann sehen, dass wir mit unserem Auto auf der Strasse mit Wochenend-Fahrverbot fahren – wozu wir als Anwohner legitimiert sind –, kommt es hin und wieder zu unschönen Szenen und wir werden von Tagestouristen zurechtgewiesen.

 

Wie sieht die Zukunft der Chellenweid aus?


Unser Sohn Marcel wird den Hof übernehmen. Nach der Ausbildung zum Polymechaniker und Maschinenbauingenieur wird er demnächst auch die landwirtschaftliche Ausbildung absolvieren. Er ist prädestiniert für den Hof. Denn seit seiner Kindheit hilft er in jeder freien Minute auf dem Betrieb mit. 

 

 

ZUR PERSON


Verena Krummenacher-Leuenberger, Jg. 1966, betreibt zusammen mit ihrem Mann Werner den Bauernhof Chellenweid und das gleichnamige Kurszentrum. Die Chellenweid gehörte im 19. Jahrhundert zum Grossbetrieb «Horbach» von George und Adelheid Page. 1923 verkaufte Adelheid Page einen Teil des Betriebes an Verena Krummenachers Vorfahren. Verena und ihr Mann übernahmen den Betrieb 2005 und stellten die Bewirtschaftung nach und nach auf Mutterkuhhaltung um. Bekannt ist die Chellenweid auch für ihre Biodiversitäts-Förderflächen: extensive Wiesen mit seltenen Blumen und Gräsern, die man nicht güllen und düngen darf und die später gemäht werden, damit die seltenen und wertvollen Pflanzen gut versamen.