PUBLIKATION

CH Media

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

15.2.2022

DER BERG RUFT – DAS STIPENDIUM LOCKT

 

In Oberägeri finanzieren Private einen mehrmonatigen Atelieraufenthalt. Das Stipendium richtet sich an Kandidaten, die sich in ländlicher Umgebung vertieft einem kulturellen, gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Projekt widmen wollen.

 

Schon klar, dass Kulturschaffende für schöpferische Höhenflüge gerne in verheissungsvolle Metropolen ausschweifen: nach Berlin, Wien, Belgrad, Kairo, New York oder Buenos Aires. Da pulsiert das Leben, da gedeihen gute Einfälle, entwickeln sich kluge Erkenntnisse, kreative Ideen – und vor allem: da geht’s ab.

 

Doch kann es sein, dass für die Besinnung und Konzentration auf ein spezifisches Projekt allenfalls auch ein etwas abgelegener Ort als Destination in Frage kommt? Zum Bespiel eine sanfte Hügelkuppe in Oberägeri? Die Erliberg AG ist davon überzeugt. Im Rahmen der gleichnamigen Wohnüberbauung, die sie vor gut einem Jahr erstellt hat, schaffte die Bauherrschaft darum gleichzeitig Platz und Rahmenbedingungen für einen Atelieraufenthalt vor Ort: ein Stipendium nicht nur für Kulturschaffende aus der bildenden und angewandten Kunst, die malend, fotografierend, filmend, gestaltend, komponierend, tanzend oder musizierend unterwegs sind. Sondern eine Förderung, die sich auch an Intellektuelle aus anderen Tätigkeitsfeldern richtet, an Forscher und Beobachter, die sich mit philosophischen, literarischen, gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Themen auseinandersetzen.

 

Den potenziellen Förderkreis habe man bewusst weit gezogen, erklärt Gaby Muff-Nussbaumer, Verwaltungsrätin der Erliberg AG und Mitglied der siebenköpfigen Jury, die dereinst über den Bewerbungsdossiers brüten und diese beurteilen wird. Entscheidend sind nicht die Berufsbezeichnungen der Bewerber, sondern der Wille und die Motivation, mit professionellem Anspruch eine konkrete Idee oder interessante Aufgabenstellung in ländlicher Umgebung zu realisieren oder voranzutreiben. Los geht es im kommenden Sommer, wenn das moderne Atelier inmitten der reizvollen Landschaft erstmals für einen mehrmonatigen Aufenthalt zur Verfügung steht. Bewerben kann man sich ab sofort, aber auch bereits für Zeitspannen im Jahre 2023 und 2024.

 

Studiert man die Ausschreibungsunterlagen, wird deutlich: In Frage kommen Kandidaten und Kandidatinnen, die zwar ein klar definiertes und ernsthaftes Projektziel verfolgen, sich aber nicht komplett im stillen Kämmerlein verkriechen und keinen Kontakt zur Aussenwelt pflegen. Gesucht sind vielmehr Leute, die auch bereit sind, ihre Arbeit gegenüber der Bevölkerung zu einem passenden Zeitpunkt zu erläutern bzw. zu präsentieren. Ob dies im Rahmen eines Atelierbesuches mit Diskussionsrunde geschieht oder ein Konzert, Vortrag, Film, eine Lesung, Werkschau oder Performance die Arbeit vorstellt, sei den Atelierbewohnern überlassen, so die Verwaltungsrätin. «Schön wäre einfach, wenn es pro Aufenthalt mindestens einmal zu einer Veranstaltung im Ägerital käme; zu einem ungezwungenen Event, der Menschen zusammenbringt, Begegnungen und Dialog ermöglicht.» Falls gewünscht, leiste man hierbei auch Unterstützung, sei es in Form von Kontakten oder bei organisatorischen Fragen.

 

Die Idee, auf dem Erliberg in irgendeiner Form Raum für Kultur zu schaffen, schwirrte den Geschwistern Gaby, Esther, Pia und Albi schon länger im Kopf herum und konkretisierte sich im Laufe des Bauprozesses, so dass das 90 Quadratmeter grosse Atelier mit den hohen Räumen elegant in das würfelförmige Wohnhaus integriert und nun entsprechend möbliert werden konnte. Ein Augenschein vor Ort zeigt: Hier hat es alles, was es braucht, und nichts fehlt, was nötig ist. Das Engagement passt aber auch zum Entscheid, die durch Beton, Glas und Holz geprägte Überbauung mit einem eleganten Kunst-am-Bau-Werk auszustatten, das im Sommer 2021 im Rahmen einer öffentlichen Feier eingeweiht wurde. Mit der Brunneninstallation der Zuger Künstlerin Daniela Schönbächler hat die Bauherrschaft jedenfalls verdeutlicht, dass bei diesem Familienprojekt die Rendite nicht im Zentrum steht. Ebenfalls bemerkenswert: Damit die Stipendiaten sich zu hundert Prozent ihrem Projekt widmen und auch jüngere, in Ausbildung stehende Personen sich bewerben können, wird ein monatlicher Zuschuss an die Lebenshaltungskosten gewährt.

 

«Ein Stück Land zu erben und darauf ein Immobilienprojekt zu verwirklichen, ist ein Privileg, das Verantwortung mit sich bringt, aber auch eine Chance, die man nutzen kann», betont Gaby Muff-Nussbaumer. Als kulturinteressierte Familie habe man sich darum für das Förderangebot entschieden. Anderseits, so betont sie, gehe man mit der Ausschreibung auch ein Wagnis ein, da man nicht wisse, wie das Echo ausfalle und was für Gesuche eingereicht würden. Glücklich schätzt sich die Erliberg AG aber schon jetzt, dass sich für die siebenköpfige Jury nebst fünf Familienmitgliedern - vier davon aus der nächsten Generation - auch zwei externe Fachleute zur Verfügung gestellt haben. Es sind dies der Kulturmanager und Musiker Aldo Caviezel sowie der in Berlin wohnhafte Künstler Albert Merz. Caviezel wohnt im Ägerital, Merz ist dort geboren.