PUBLIKATION

Kundenmagazin Die Lupe

ZUSAMMENARBEIT

Schweizer Post (Auftraggeber)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

9.4.2011

«MEHR IST MEHR!»

 

Dass ausgerechnet ein Künstler, der für seine raumfüllenden Installationen bekannt ist, eine kleine Briefmarke gestaltet, mag erstaunen. Im Gespräch mit Thomas Hirschhorn wird aber klar: ins Kleinformatige steckt der Wahlpariser genauso viel Leidenschaft wie in seine grossen Werke.

 

«Mehr ist mehr» - wer mit Thomas Hirschhorn, 53, über seine Kunst spricht, hört das Statement früher oder später. Der Künstler arbeitet punkto Material in Dimensionen, die manchen Betrachter irritieren mögen: ob Ketten, Karton, Klebeband, Aluminium, Holz, Nägel, Röhren oder Bauschaum oder Styropor: Oft ist bei Hirschhorn eine Materialschlacht in Gange, die seiner künstlerischen Aussage Nachruck verleiht. Die Behauptung, wonach zumindest sprichwörtlich weniger oft mehr sei, stellt er darum entschieden in Abrede: «Nein! Weniger ist eben nicht mehr, sondern definitiv weniger. Nur mehr ist mehr!»

 

Dazu passt, dass Workaholic Hirschhorn in seinen Ausstellungen immer wieder Räume beschlagnahmt, diese vom Boden bis zur Decke komplett einnimmt. In der Ausstellung «Swiss-Swiss Democracy» (2004) besetzte er den gesamten Ausstellungsraum des Centre Culturel Suisse in Paris mit einem überbordenden Misstrauensvotum zur politischen Demokratie. Auf der Documenta11 in Kassel (2002) errichtete er ein gigantisches Denkmal für den von ihm verehrten französischen Philosophen Georges Bataille. In seiner Arbeit «Wirtschaftslandschaft Davos» (2001) zeigte er seine Bündner Heimat in einem auslaufenden Relief als eine von Krawallen gebeutelte Hochsicherheitszone. In der Präsentation «das Auge» (2008) verwandelte er das Ausstellungsgebäude der Secession in Wien in ein rot-weisses Wahrnehmungsmeer. In «Superficial Engagement» (2007) füllte er die Räume seiner New Yorker Galeristin Barbara Gladstone flächendeckend mit Szenerien zum Thema Krieg und Terror. Jedes Mal lief der Betrachter Gefahr, in der Materialisierung zu versinken, was durchaus Hirschhorns Absicht ist: «Ich will das Publikum überfordern.»

 

Und nun also die Briefmarke. Gerade mal 3,3 x 2,8 Zentimeter misst das Format, das dem Künstler zur Verfügung steht und auf das er seine Botschaft «Art is Resistance» formuliert, in der sich seine ganze, von Kunstkritikern umfangreich gewürdigte Position zu einem einzigen Satz verdichtet. Simpler und unmissverständlicher könnte das Verhältnis, das Hirschhorn zu seiner Arbeit pflegt, nicht umschrieben werden. Der bedingungslose Einsatz für seine Arbeit, der er sich gleichsam ausliefert, wird von den Galeristen denn auch als Grund genannt, weshalb es einem Privileg gleichkommt, einen Künstler wie ihn unter Vertrag zu haben. Freilich hat die Post den Künstler nicht direkt mit der Gestaltung einer Briefmarke beauftragt. Vielmehr ist sie mit der Idee an das Bundesamt für Kultur (BAK) gelangt, die Schweizer Beiträge an der Kunstbiennale in Venedig 2011 zu thematisieren. Erst mit dem definitiven, auf Empfehlung der Eidgenössischen Kunstkommission (EKK) beruhenden und vom BAK gefällten Entscheid stand dann fest, dass Hirschhorn als Briefmarkengestalter zum Einsatz kommen wird. Der streitbare Wahlpariser war, wie Urs Staub vom BAK gegenüber der Lupe betonte, aus Schweizer Sicht als Kandidat schon länger «im Visier» für die Biennale. Jetzt endlich, freut er sich, habe es geklappt.

 

«Wir waren begeistert, als wir vernahmen, dass sich das BAK für Herrn Hirschhorn entschieden hat» betont Post Product Managerin Claudia Baumgartner, «nur waren wir nicht sicher, ob der Künstler auf die Anfrage unsererseits genauso positiv reagieren würde.» Er tat es! Das Resultat lässt nun durchaus Assoziationen an frühere Arbeiten Hirschhorns aufkommen. So werden Erinnerungen wach an seine minimalistisch gestalteten «Lay-outs» Ende der 80-er Jahre: Der Künstler deponierte Kartonschilder auf Trottoirs, Baustellen, in Treppenhäusern und Hauseingängen oder klemmte sie unter die Scheibenwischer stehender Autos, damit diese von achtlosen Passanten schnöde ignoriert wurden. Kein Wunder: Diese Layouts stammen aus einer Zeit, in der Thomas Hirschhorn ein «No-Name» war, seine Botschaft aber schon mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Vehemenz kund tat, wie er dies heute tut: Dass Kunst Widerstand per se ist, weil sie immer an einen persönliche Standpunkt, an eine Überzeugung gekoppelt ist.

 

Interview

 

Herr Hirschhorn, seit 1984 wohnen Sie in Paris und frankieren allfällige Briefpost mit französischen Marken. Welches Verhältnis pflegen Sie zur Schweizer Briefmarke?
Schweizer Marken brauche ich in der Tat selten. Dafür die französischen roten Dauermarken für sämtliche Briefpost, inklusive der brieflichen Stimmabgabe für die Schweiz! Zudem bin ich ein Postkartenschreiber. Einem Kreis von einem dutzend Freunden schicke ich regelmässig Kartengrüsse, wenn ich für meine Ausstellungen ins Ausland reise. Es bereitet mir Freude, dieser Person mitzuteilen, dass ich an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Moment an sie gedacht habe.

 

Was ging Ihnen durch den Kopf, als die Anfrage kam, eine Briefmarke für die Schweizer Post zu gestalten?
Ich habe mich gefreut! Denn eine Marke ist eine populäre Plattform. Jeder kennt Briefmarken, jeder benutzt sie. Mit meiner Marke, von der nun 1 Million Exemplare gedruckt werden, kann ich ein breites Publikum auf der ganzen Welt erreichen, auch Leute, die meine Arbeit nicht kennen, oder die sich nicht für Kunst interessieren. Das gefällt mir. Allerdings ist das Format schon verdammt klein. Darum habe ich mich entschieden, es ausschliesslich als Träger einer geschriebenen Botschaft zu benutzen.

 

Bei Ihnen lautet diese «Art is resistance». Auf dem Umschlag des Markenbogens steht zusätzlich mit Kugelschreiber: I LOVE Art and Art LOVES me! Warum diese Liebeserklärung?
Das Herz-Logo «I LOVE» ist universell, einfach, klar und positiv. Es wird für alles Mögliche und Unmögliche benutzt. Überall auf der Welt gibt es Selbstkleber, Badetücher oder Teetassen mit den Statements «I LOVE». Sie gehen vom Partikulären und Individuellen «I», also vom «Ich» aus, zielen aber gleichzeitig auf eine Stellungnahme des Gegenübers: «Und was liebst Du? Und wofür stehst Du ein?»

 

Dass Sie die Kunst lieben, ist klar. Wie aber ist es möglich, dass die Kunst als Form des Ausdrucks Sie liebt?
Es gibt eine wunderbare Aktion und einen Film von Joseph Beuys, die den Titel tragen: «I love America and America loves me.» Meine Botschaft lehnt sich daran an. Es geht darum, zu behaupten, dass ich mich von der Kunst lieben lasse. Als Künstler muss ich dazu bereit sein. Genauso, wie ich bereit sein muss, für meine Arbeit als erster zu bezahlen.

 

Wie meinen Sie das?
Es bedeutet, bereit zu sein, für meine Arbeit unbedingt den Kopf hinzuhalten, die ungerechteste Kritik einzukassieren ohne wehleidig zu sein und die dümmste Falschauslegung hinzunehmen ohne zu klagen. Warum? Weil ich als Künstler die Macht habe, meine eigene Arbeit zu machen!

 

Sie haben erwähnt, dass es Sie störe, wenn nun gesagt wird, Sie würden die Schweiz an der Biennale in Venedig vertreten. Warum?
Weil das so klingt, als würde ich mit meiner Ausstellung im Schweizer Pavillon die Schweiz ausnahmsweise offiziell und erstmalig «vertreten». Aber das stimmt so nicht. Denn wenn ich schon etwas «vertreten" muss, vertrete ich meine Arbeit. Und ich vertrete meinen Begriff der Kunst! Oder dann, wenn Sie wollen, «vertrete» oder «vertrat» ich die Schweiz mit jeder meiner noch so kleinen Ausstellung. Immer und überall. Denn ich bin Schweizer.