PUBLIKATION

GGZ Jahresbericht

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2021

KABUL - ZUG - EINFACH

 

Hamidullah Ali, 27, ist vor fünf Jahren aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet und hat eine ebenso steile wie aussergewöhnliche Integrationskarriere zurückgelegt. Sein Erfolgsrezept: immer nach vorne schauen.

 

Deine Muttersprache ist Persisch. Obwohl erst wenige Jahre in der Schweiz, sprichst Du praktisch fliessend Deutsch, und dies so gut, wie es viele Fremdsprachige zeitlebens nie schaffen. Wie ist das möglich?

Vielen Dank für das Kompliment! Ich habe mich von Anfang an aufs Deutschlernen konzentriert. Ich wusste, dass dies für eine erfolgreiche Integration zentral ist und von Vorteil sein wird, wenn über mein Asylgesuch entschieden wird. Bereits in der Durchgangsstation Steinhausen, meinem ersten Zuhause im Kanton Zug, ging ich einmal pro Woche für zwei Stunden zum Deutschkurs. Parallel dazu belegte ich Onlinekurse und besuchte Konversationsstunden, wo wir das Sprechen lernten. Ich schaute regelmässig Filme auf Deutsch und in der Bibliothek besorgte ich mir die Bücher der Serie «Was ist Was?». Das sind Kinderbücher mit vielen Bildern und wenig Text. Für Anfänger wie mich war das damals ideal, um Deutsch zu lernen.

 

Im Herbst 2015 bist Du zusammen mit Deiner Frau aus Afghanistan Richtung Europa geflüchtet. Warum hast du Deine Heimat verlassen?
Das hat verschiedene Gründe. Die Umstände sind sehr komplex und es ist für mich etwas heikel, offen darüber in den Medien zu reden. Gegenüber den Behörden war das natürlich anders: da mussten meine Frau und ich im Rahmen des Asylverfahrens sehr detailliert über unser Leben in Afghanistan und die Gründe für unsere Flucht Auskunft gegeben. Ich bin froh, dass dieser Prozess abgeschlossen ist und unsere Gesuche im Jahre 2017 positiv beurteilt wurden. Seither sind wir anerkannte Flüchtlinge und im Besitze einer B-Bewilligung.

 

Du hast in Kabul sechs Semester Medizin studiert. Konntest Du Dein Studium in der Schweiz fortsetzen?
Das wollte ich. Markus Truttmann, der Leiter der GGZ@work Berufsintegration, hat mich von Anfang an stark unterstützt. Dank seiner Hilfe konnte ich im Jahre 2018 an der Universität Zürich sogar zwei Schnupper-Semester absolvieren. So lernte ich das schweizerische Universitätssystem und die Module des Medizinstudiums kennen. Die beiden Schnuppersemestern waren anspruchsvoll, haben mir aber sehr gut gefallen. Darum wollte ich anschliessend weiterstudieren. Ich reichte die nötigen Unterlagen ein, in der Hoffnung, dass mir zumindest ein oder zwei Semester aus Kabul angerechnet würden. Doch das hat nicht funktioniert.

 

Hättest Du nicht den Eignungstest numerus clausus machen und, falls bestanden, das Studium neu starten können.
Auch zum Eignungstest war ich nicht zugelassen. Also setzte ich mich wieder mit Markus Truttmann zusammen und wir überlegten einen Plan B. An der Hochschule Luzern entdeckten wir den Studiengang Medizintechnik, ein Studium an der Schnittstelle von Technik und Medizin. Das klang spannend. Erste Abklärungen ergaben, dass meine Chancen auf einen solchen Studienplatz gut waren. Also büffelte ich erneut Deutsch und legte nach der erfolgreichen Prüfung im Level C1 auch noch die C2 Prüfung ab. Anschliessend reichte ich wiederum meine Unterlagen ein, diesmal mit dem besten Sprachattest. An einer Informationsveranstaltung erfuhr ich, wie der Studiengang organisiert war und konnte mich länger mit einer Oberassistentin unterhalten. Nach diesem Anlass war für mich klar: diesen Weg möchte ich gehen.

 

Du wurdest an der HSLU aufgenommen?
Die Studienleitung stellte nach dem Bewerbungsgespräch noch zwei Bedingungen. Zum einen musste ich vor Studienstart ein sechsmonatiges Berufspraktikum absolvieren, zum anderen einen sechswöchigen Vorbereitungskurs in technisch Zeichen, Mathematik und Elektrotechnik besuchen, weil ich hier noch Defizite hatte. Nachdem ich auch diese Bedingungen erfüllte, konnte ich das Studium im Sommer 2020 starten. Der Vorteil ist: ich kann die Ausbildung berufsbegleitend machen und arbeite gleichzeitig in einem 40 %- Pensum bei der Schiller AG in Baar. Das ist der weltweit führende Hersteller und Lieferant von Geräten für die kardiopulmonale Diagnostik. Die Firma produziert zum Beispiel Defibrillatoren, Blutdruckrekorder und EKG-Geräte, aber auch Softwarelösungen. Sie hilft dadurch, Menschen vor dem plötzlichen Herztod zu retten. Meine Tätigkeit im Produktemanagement ist sehr spannend und mein Arbeitgeber ist toll! Besonders dankbar bin ich der Schiller AG, dass ich meine Arbeitszeiten flexibel gestalten kann. Das erleichtert mir das Studium und die Organisation zu Hause.

 

Inzwischen bist Du Vater geworden und hast eine zwei Jahre alte Tochter.
Ja, Hanna ist hier in Zug zur Welt gekommen. Derzeit schaut vor allem meine Frau Fatima zu ihr. Nebenbei lernt sie Deutsch. Wenn Hanna etwas grösser ist, möchte Fatima eine Ausbildung machen, und dann ebenfalls arbeiten und Geld verdienen. Mein Ziel ist, das Bachelorstudium in Medizintechnik in sechs bis maximal acht Semestern abzuschliessen. Für meine Frau und mich ist klar: wir möchten in Zug zu bleiben. Hier fühlen wir uns zu Hause. Wir kennen viele Leute, Schweizer und Afghanen, die uns in den letzten Jahren geholfen haben, und die inzwischen wichtige Freunde geworden sind. Ich könnte mir gar nicht mehr vorstellen, irgendwo anders zu wohnen.

 

Fehlt Dir Deine alte Heimat Afghanistan nicht?

Ich schaue nie zurück, sondern nur nach vorne. Das sehen auch viele meiner Landsleute im Kanton Zug so. Darum haben wir zusammen vor zwei Jahren den afghanischen Kulturverein gegründet. Da treffen wir uns regelmässig, feiern Feste, treiben Sport und helfen uns gegenseitig, wo es nötig ist. Auf diese Weise bleibt man seiner Heimat und Kultur verbunden, aber auch die Integration in der Schweiz gelingt besser.