PUBLIKATION

Zuger Neujahrsblatt

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

26.11.2019

VON UNERSCHüTTERLICHEM OPTIMISMUS

 

Nach unerträglichen Schmerzen und einer Stabilisationsoperation der Lendenwirbelsäule erobert sich Sigrid Hensel, 77, ihre Beweglichkeit in der Rehaklinik Adelheid zurück. Das geht nur mit eiserner Diziplin.

 

Die Therapieleitung der Klinik Adelheid hat uns vorgewarnt. Die Patientin in Zimmer 506 sei mit einem derart unerschütterlichen Optimismus ausgestattet, dass es auf Besucher schon fast irritierendwirken könne. «Schön, dass Sie da sind. Ich freue mich. Heute wird ein guter Tag!», empfängt uns Sigrid Hensel, 77 Jahre alt. «Ich habe hervorragend geschlafen, keine Schmerzen. Und schauen Sie sich mal diese Aussicht auf den Ägerisee an. Fantastisch!» Sigrid Hensel tritt auf den Balkon und atmet tief durch.


Vor genau vier Wochen hat sie sich einer sogenannten Spondylodese unterzogen, einer Stabilisationsoperation der Lendenwirbelsäule. Fünfeinhalb Stunden lag sie in der Klinik St. Anna in Luzern unter dem Messer und liess sich von zwei Chirurgen sechs Wirbel versteifen. Dazu wurden mehrere Schrauben in die Wirbelkörper eingebracht und die Bandscheiben durch Titankäfige ersetzt. Die eingeengten Nerven mussten an mehreren Stellen freigelegt werden, damit sie ihre Funktion wieder uneingeschränkt aufnehmen konnten. Der Eingriff liess sich nicht vermeiden. Was war passiert? Die Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern waren bei Sigrid Hensel aufgebraucht, die Zwischenwirbelgelenke abgenutzt und der Nervenkanal über mehrere Bewegungssegmente zu eng gestellt. Dies hatte zur Folge, dass für Sigrid Hensel die Schmerzen am Rücken, beim Gesäss und in den Beinen in der Folge immer stärker und irgendwann so unerträglich wurden, dass sie kaum mehr gehen konnte. Zwanzig Meter zu Fuss lagen noch drin, dann musste die gepflegte Rentnerin Forfait geben.


«Eigentlich hätten mich diese Probleme mit der Wirbelsäule gar nicht plagen dürfen», kommentiert sie leicht zerknirscht, knipst dann aber sofort wieder ihr Lächeln an. Denn sie pflege einen gesunden Lebensstil, mache Wassergymnastik, Pilates und gehe regelmässig wandern. In früheren Jahren standen auch noch Tennis, Ballett und Reitsport auf dem Programm. Die Ursache ortete der Arzt denn auch nicht bei einem Fehlverhalten, sondern ganz profan bei Alterungs- und Verschleisserscheinungen. Tja, was kann man dagegen schon ausrichten?


Sigrid Hensel erobert sich während ihres vierwöchigen Aufenthalts in der Klink Adelheid ihre Beweglichkeit zurück und präsentiert uns ihren Therapieplan. Dieser ist individuell auf ihre Krankengeschichte ausgerichtet, wird jeden Tag neu zusammengestellt, und Sigrid Hensel – keine Frage! – hält sich eisern daran: Physiotherapie, Ergotherapie, medizinische Trainingstherapie. Aufmerksam lauscht sie den Anweisungen des Personals und ist hoch konzentriert bei der Sache. Denn die Übungen möchte sie später auch alleine zu Hause trainieren. Sie absolviert Trainingseinheiten im Liegen, Stehen und Sitzen, mit und ohne Geräte. Wo ein Wille, lautet ihr altbewährtes Motto, da ein Weg. Ziel ist der Kraftaufbau und die Wiedererlangung der Stabilität, Mobilität und Balance. Schuhe binden, Hose anziehen, Fussnägel schneiden, duschen, kochen, haushalten – all das will wieder gelernt sein. Befinden sich Gegenstände ausser Reichweite, nimmt Sigrid Hensel eine lange Greifzange zu Hilfe, denn intensives Recken und Strecken liegen so kurz nach der Operation nicht drin. Kleine Fortschritte in den Bewegungsabläufen haben sich aber bereits eingestellt: Das Treppensteigen, berichtet sie, funktioniere mittlerweile gut. Und bei den Entspannungsübungen döse sie sogar ein. Recht so! Das ist Sinn und Zweck der Sache.


Auf dem Klinikkorridor absolviert Sigrid Hensel kurz vor Mittag noch einen 6-minütigen Gehtest und freut sich mit der Therapeutin über das gute Resultat. 340 Meter hat sie in der vorgegebenen Zeit zurückgelegt und dabei Sauerstoff- und Pulswerte erzielt, die absolut zufriedenstellend sind, besser als vor einer Woche; angesichts der verengten Herzkranzgefässe und der Niereninsuffizienz, unter der sie leidet, keine Selbstverständlichkeit. Als sich Patientin Hensel für einen Moment etwas schwindlig fühlt, gönnt sie sich eine Verschnaufpause, ruht sich am Geländer aus und setzt dann das Training in kleinen Schritten und mit winzigen Schweisstropfen auf der Stirn fort. «Ich will doch mit meinen Kolleginnen bald wieder den Seeweg entlang spazieren, in der Kirche als Lektorin vor den Gottesdienstbesuchern stehen und Auto fahren können», erklärt sie ihren Tatendrang. Zurück im Zimmer zeigt sie auf Fotos ihrer Tochter und der beiden Enkel. «Die wollen mit mir noch ganz viel unternehmen. Das motiviert!» Nach insgesamt 16 grösseren und kleineren Operationen im Laufe der letzten zwanzig Jahre sei sie nun «komplett durchsaniert wie ein altes Auto» und zuversichtlich, ihren Bewegungsdrang bald wieder ausleben zu können. Ach ja: im Ägerisee schwimmen will Sigrid Hensel auch baldmöglichst wieder. «Mein Schwimmgurt wartet schon auf mich!»