PUBLIKATION

GGZ Jahresbericht

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2019

MENTEES STäRKEN UND ERNST NEHMEN

 

Gertrud Keidel unterstützt als freiwillige Mentorin bei „Job Caddie“ der GGZ Jugendliche und junge Erwachsene, die Schwierigkeiten in der Lehre oder beim Berufseinstieg haben.

 

Für viele Jugendliche gestaltet sich bereits die Berufswahl alles andere als einfach. Wie war das bei Ihnen ?
Für mich war schon in der Oberstufe klar, dass ich eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich machen möchte. Darum absolvierte ich die Handelsmittelschule im Internat „Stella Matutina“ im Luzernischen Hertenstein. Theoretisch hätte ich noch ein Jahr anhängen und die Wirtschaftsmatura
machen können, aber ich wollte lieber arbeiten, Geld verdienen, von zu Hause ausziehen, unabhängig sein.


Und das funktionierte ?
Sogar wunderbar. Das Internat, das ich besuchte, genoss einen hervorragenden Ruf. Jugendliche, die dort die Handelsmittelschule absolviert hatten und sich um eine Stelle bewarben, waren sehr begehrt. So erhielt ich bereits mit 19 Jahren eine interessante Anstellung in der Wertschriftenabteilung einer Bank und war dort gleichzeitig Assistentin des Geschäftsführers. Nach einem längeren Sprachaufenthalt in Vancouver zog es mich nach Zug ins internationale Umfeld, wo ich zuerst als Geschäftsleitungs-Assistentin in verschiedenen Unternehmen arbeitete und mich dann in Human Resources (HR) weiterbildete. Danach bekam ich die Chance, in einer internationalen Firma das HR aufzubauen und rekrutierte das gesamte Personal. Nach rund zehn Jahren setzte ich meinen Traum von der eigenen Firma um und gründete im Jahre 2006 HR Capital.

 

Wie wurden Sie Mentorin bei „Job Caddie“ ?
Ich hörte davon durch einen Bekannten. Nach einem Aufnahmegespräch mit der Leiterin von Job Caddie Zug besuchte ich den eintägigen Einführungskurs und bereitete mich so auf das Engagement vor. Ganz wichtig: Es ist der freiwillige Entschluss der Mentees sich bei Job Caddie Unterstützung zu holen, weil sie gemerkt haben, dass sie Hilfe brauchen. Mir selber kommen dabei meine langjährige Berufserfahrung, mein gutes Netzwerk und meine Weiterbildung am Institut für psychologische Beratung zugute. Coaching, Mentoring, Konfliktlösung und Gesprächsführung mit Jugendlichen bildeten einen Teil dieser Weiterbildung. Dieser letzte Punkt ist aber keine Voraussetzung für ein Engagement als Mentorin. Wichtig ist vor allem, viel praktische Erfahrung aus dem Berufsleben mitzubringen.


Und den Draht zu den Jugendlichen zu finden ?

Ja, man muss Jugendliche mögen, sich für sie interessieren, sie nicht erziehen wollen, sondern ernst nehmen. Wichtig ist auch, dass die Chemie zwischen Mentee und Mentorin stimmt. Die Leiterin von Job Caddie Zug führt mit den Jugendlichen das Erstgespräch und analysiert zunächst die Situation. Dadurch lässt sich abschätzen, welcher Mentor am besten zu welchem Mentee passt. Ich habe hauptsächlich mit Jugendlichen aus dem kaufmännischen Sektor zu tun.


Wie unterstützen Sie die Jugendlichen konkret ?
Ich helfe beispielsweise bei der Stellensuche, kontrolliere oder redigiere Bewerbungsunterlagen und Motivationsschreiben, gebe Tipps und Training für Interviewgespräche, erstelle Ressourcen-Analysen, schaue also, wo die Jugendlichen ihre Stärken und Schwächen haben. Das benötigt Feingespür für die Situation, in welcher sich der Mentee gerade befindet. Je nach Dringlichkeit treffe ich mich mit den Jugendlichen einmal pro Woche, oder aber nur alle zwei bis drei Wochen. Am Anfang ist der Kontakt meist etwas intensiver. Wenn die Jugendlichen ein Problem haben, das wir am Telefon lösen können, dürfen sie mich natürlich auch schnell anrufen.

 

Sie müssen aber nicht ausbaden, was in der Schule oder im Elternhaus falsch gelaufen ist ?
Nein, darum geht es gar nicht. Eltern geben ihr Bestes und auch die Schulen und Lehrbetriebe erlebe ich als engagiert. Und doch gibt es Gründe, warum es für Mentees nicht optimal läuft und eine aussenstehende Person mit einer neutralen Sicht auf die Dinge einen Prozess positiv beeinfluss kann kann. Ein weiterer Punkt ist mir wichtig: Ich werte und bewerte die Jugendlichen in ihren Eigenheiten und Charakteren nie, ich kategorisiere und schubladisiere sie nicht. Und ich bin überzeugt: jeder junge Mensch hat Talente. Meine Aufgabe besteht darin, den Mentee so zu stärken, dass er wieder Motivation hat, und von sich aus aktiv wird.


Haben Sie vor, Ihr Engagement weiterzuführen und können Sie es anderen empfehlen ?
Dazu sage ich zweimal deutlich Ja. Ich mache weiter, weil bis jetzt jedes Mentorat, in welches ich involviert war, etwas gebracht hat. Ich mache aber auch weiter, weil ich durch mein Engagement Wertschätzung und Dankbarkeit von den Jugendlichen selber erfahre. Es ist also ein Geben und Nehmen. Ganz nebenbei bekomme ich dank diesem Mentoring-Programm auch mit, wie Jugendliche von heute „ticken“. Das ist spannend. Bereichernd ist auch der Austausch mit den anderen Mentorinnen und Mentoren. Wir treffen uns regelmässig zur Supervision und nehmen an Weiterbildungskursen teil.