PUBLIKATION

Kundenmagazin Lyreco Switzerland

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2017

«IN JAPAN BIN ICH EIN ANFäNGER»

 

Der 32-jährige Westschweizer Joël Perriard befasst sich als Leiter der Chocolate Academy Zürich unablässig mit immer neuen Techniken und Entwicklungen süsser Kreationen.

 

Es kann kein Zufall sein, dass da, wo das kreative und innovative Zürich boomt, auch die Chocolate Academy der Firma Carma ihr Headquarter hat. Doch wer an der Pfingstweidstrasse 60 empfangen wird, dem eröffnet sich das Reich der Schokolade nicht sofort, dem steigt auch nicht, wie erwartet, gleich der süsse Duft von Kakao in die Nase. Wer hier Einlass begehrt, der gelangt zuerst in ein grosszügiges Entrée, durchreitet dann nüchterne Schulungsräume und findet schliesslich blitzblank saubere, mit glänzendem Chromstahl ausgestattete Demonstrationsräume vor. Die Vielzahl professioneller Gerätschaften verrät, dass hier Profis Gastronomie der Spitzenklasse betreiben: Gastronomie, bei der sich alles um Kakao dreht.

 

Das hier in Zürich ansässige Kreativ-Team, welches vom 32-jährigen Westschweizer Joël Perriard geleitet wird, befasst sich unablässig mit immer neuen Techniken und Entwicklungen süsser Kreationen: in Form von Schulungen, Kursen und Workshops. Dabei spielen die weltweiten Kontakte, die Carma  als Marke des grössten Schokoladenproduzenten, Barry Callebaut AG, hat,
eine entscheidende Rolle.

 

Herr Perriard, Schokolade wird in erster Linie mit Genuss oder allenfalls noch mit Verführung in Verbindung gebracht. Erklären Sie uns als Leiter der Chocolate Academy, warum Schokolade nun plötzlich zum akademischen Thema mutiert.

Der Begriff Academy ist passend und rührt daher, dass wir auf höchstem Niveau Schokoladen-Rezepturen entwickeln. Das ist Handwerk und Technik, aber auch Wissenschaft. Zudem macht eine internationale Bezeichnung Sinn, weil es weltweit neunzehn Chocolate Academy Center gibt. Wir sind in Europa, aber auch in Brasilien, Chile, Mexiko, Dubai, Singapur und anderen Ländern präsent. Die zwanzigste Academy feiert im Juni 2017 in Milano ihre Eröffnung. Die drei Flagship-Chocolate Academy Center befinden sich jedoch in Zürich, Wieze (Belgien) und Meulan (Frankreich). Aufbauend auf dem  Netzwerk von Barry Callebaut, dem grössten Schokoladenproduzenten der Welt, zu dem unter anderem die Schweizer Marke Carma gehört, wird in den Academies das Wissen über Schokolade in Schulungskursen weitergegeben.

 

Worin besteht die Aufgabe der Academy? Wer arbeitet hier und geht an der Pfingstweidstrasse im Zürcher Kreis 5 ein und aus?

Unser Kernteam besteht aus vier Personen plus jeweils einem Praktikanten. Das Chocolate Academy Center bietet kreative und professionelle Schulungen und Workshops für Bäcker, Konditoren und Pâtissiers an. Unsere Rezepturen bauen auf den von Carma hergestellten Fabrikaten auf. Es sind jene Produkte, mit denen wir weltweit Hotels, Restaurants, Konditoreien, Bäckereien und Cateringfirmen beliefern. Pro Jahr schulen wir mehr als 500 Leute. Unsere Kunden schätzen unsere Unterstützung und sind neugierig auf die Ideen, die wir ihnen mit auf den Weg geben. Im Zentrum steht immer die Frage, was man mit der Schokolade alles anstellen kann kann, sei es in Form von Desserts, Gebäck oder Konfekt. Ziel ist es, dass der Kunde das, was er hier lernt, in seinem Restaurant oder seiner Backstube anwenden kann. Allerdings lernen auch wir von unseren Kunden! Die Inspiration ist gegenseitig.

 

Carma ist Barry Callebaut’s Schweizer Gourmet-und Spezialitäten-Marke für Schokoladenexperten. Aber die Marke kennt man eigentlich gar nicht. Warum?

Weil unsere Produkte nicht in den Regalen der Supermärkte präsent sind. Wie gesagt: Wir stellen Halbfabrikate her und diese liefern wir an die Gastronomie. Durch unsere Kurse, Workshops und Demonstrationen wird die Marke Carma aber auch bekannter. Dies, weil auch Laien an unseren Kursen teilnehmen können. Wir haben das ursprünglich nicht so geplant, aber die Nachfrage war da. Immer wieder melden sich Firmen, die hier für die Mitarbeiter einen Event buchen. Gemeinsam Cupcakes backen, eine aussergewöhnliche Torte oder Pralinés kreieren: Dies alles kann einen Beitrag zur Teambildung leisten.

 

Schokolade wird weltweit gegessen, doch die Vorlieben sind bestimmt unterschiedlich. Unterscheidet sich der Schokoladengeschmack eines Schweizer von jenem eines Japaners?

Nicht nur die Geschmäcker sind verschieden, auch die Konditoren ticken je nach Land und Region ganz anders. Der Schweizer mag es klassisch-traditionell. Die japanischen Konditoren machen Torten mit fünfzehn verschiedenen Einlagen. Sie sind unglaublich ambitioniert und scheuen keinen Zeitaufwand, was allerdings auch mit den Personalkosten zusammenhängt. In Japan gelte ich mit meinen 32 Jahren als Youngster, der von seinem Fach noch nicht allzu viel versteht und noch viel, viel lernen muss.

 

Diesen Eindruck hat man nicht, wenn man sich Ihre Videos im Internet anschaut. Woher nehmen Sie die Geduld, um für eine Torte eine so perfekte und zeitaufwändige Dekoration zu kreieren, die alles andere als für die Ewigkeit bestimmt ist?

Es macht Spass! Ich mag es, kreativ zu sein, dies ist mein Berufsverständnis. In meinem Metier geht es primär längst nicht mehr um die Herstellung von Lebensmitteln sondern um Fantasie im Gourmetbereich. Die Videos erfreuen sich tatsächlich einer hohen Aufmerksamkeit und Klickzahl. Ich mache da Chocolate Nuggets aus kristallisierter Couverture mit Hilfe von Eiswürfeln. In der Gastronomie muss man die Kunden immer wieder mit Neuem überraschen, sie zum Staunen bringen. Mit Schokolade befasse ich mich darum nicht nur, wenn ich in der Küche stehe, sondern auch während dem Autofahren. Meine Frau realisiert das und fragt dann immer: Joel, bist Du mit den Gedanken wieder woanders? Ich poste nicht nur selber Videos in den Social Media, sondern schaue mir auch an, was Kollegen machen. Inspiration hole ich mir aber auch aus den über 40 Ländern, die ich beruflich oder privat schon bereist habe. Kakao eignet sich gut, um die Welt kennenzulernen!

 

Schokolade ist in aller Munde als Lifestyle- und Genussmittel. Der Konsum steigt auch mit zunehmendem Wohlstand in Ländern wie China oder Indien. Welche Trends machen Sie aus?

Der Trend geht hin zu mehr dunkler Schokolade mit einem hohen Anteil der gesunden Bestandteile des Kakaos und die auch weniger Zucker enthält. Carma hat im Januar 2017 eine kohlenrabenschwarze Schokolade produziert. Sie enthält keinerlei Lebensmittelfarbe, sondern basiert auf vollkommen natürlichen Stoffen. Wir haben sie im Export getestet. Aufgrund der Reaktionen lässt sich jetzt schon sagen: da ist ein grosses Potenzial. Der zweite Trend geht dahingehend, dass Schokolade immer farbiger wird. Da ist nicht mehr nur braun, schwarz, weiss, sondern pink, lila, gelb und grün. Die Leute wollen etwas fürs Auge.

 

Viel Aufmerksamkeit erregte die Erfindung der hitzeresistenten Schokolade von Barry Callebaut. Viele Produzenten haben dies bisher versucht, doch die meisten  sind gescheitert.

Ja, das war ein Durchbruch. Herkömmliche Schokolade schmilzt bei zirka 34 Grad. Die neu entwickelte Schokolade bleibt bis 38 Grad fest. Das klingt nach wenig Differenz, macht aber enorm viel aus. Möglich ist dies dank der richtigen Mischung der Zutaten und einem speziellen Herstellungsverfahren. Künstliche Inhaltsstoffe kommen nicht zum Einsatz. Mehr verrate ich nicht. Mit der hitzeresistenten Schokolade lassen sich neue Wachstumsmärke erschliessen, vor allem in wärmeren Regionen wie Asien. Zwar  ist es möglich, eine Schokolade herzustellen, die erst bei 50 Grad schmilzt. Die Herausforderung besteht aber vielmehr darin, dass sie dann immer noch gut schmeckt.

 

Wie sind Sie eigentlich zu Barry Callebaut nach Zürich gekommen? Sie stammen ja aus der Westschweiz und haben dort ihre Berufsausbildung gemacht.

Das stimmt. Meine Lehre als Patissier-Confiseur habe ich in Neuchâtel im Atelier von Wodey-Suchard gemacht, danach ging ich für ein paar Jahre ins Hotel Saratz nach Pontresina. Nach einer Weltreise nahm ich eine Stelle in Ftan im Hotel Paradies an, dann ging es weiter in die Conditorei Schuh nach Interlaken. Ein grosses Abenteuer, das dann nicht ganz so funktionierte, wie ich es mir vorstellte, war schliesslich mein Aufenthalt in Ecuador, wo ich zusammen mit meiner Frau auf 3000 Metern über Meer ein Boutique Hotel führte. Zurück in der Schweiz arbeitete ich in der Küche des Restaurants Mesa in Zürich. Im Herbst 2012 begann ich schliesslich bei der Carma Chocolate Academy Center als internationaler technischer Berater. Seit Sommer 2015 leite ich die Academy.

 

Sie gewannen den Young-Swiss-Confiseur-Award in Montreux und belegten an den Schweizermeisterschaften der jungen Patissier-Confiseure in Luzern einen Spitzenplatz. Sind Sie, vergleichbar mit Tüftlern aus der IT-Branche, ein "Nerd"?

Ich habe nichts gegen den Begriff, denn ich bin mit Herzblut bei der Sache. Es ist wie beim Sport: man muss üben, üben, üben. Manchmal muss man sich aber auch eingestehen, dass eine Idee nicht umgesetzt werden kann, etwa, weil eine Dekoration zu viel Zeit beansprucht. Wenn etwas misslingt, will ich immer wissen, warum: liegt es an der Temperatur oder am Material? Schokolade hat ja auch viel mit Physik, Chemie und Verfahrenstechnik zu tun. Es gibt bestimmte Formeln, die ich auswendig kenne, wie die der Mousse au Chocolat.

 

Besitzt der Konzern bzw. die Marke Carma selber Kakao-Plantagen und bestimmen Sie selber,  mit welchen Bauern eine Zusammenarbeit aufgebaut wird?

Nein, Barry Callebaut hat selber keine Plantagen, die Kakaofarmer sind also nicht unsere Mitarbeiter. Die sind entweder unabhängig oder in einer Kooperative organisiert. Trotzdem habe ich natürlich schon Plantagen besucht. In Ecuador war ich auf Wildplantagen. Im Oktober dieses Jahres gehe ich mit Kunden aus der Schweiz zudem nach Ghana. Das Land ist zusammen mit der Elfenbeinküste und Kamerun der wichtigste Kakao-Produzent. Die drei Länder decken knapp 70 Prozent der Weltproduktion ab. Ich möchte der Gruppe die Kultur des Kakaos näher bringen. Das interessante ist: Je nach Land schmeckt der Kakao anders. Madagaskar ist bekannt für seinen eher fruchtigen Kakao, Indonesien für seinen eher rauchigen Kakao. Dies alles hängt mit der Beschaffenheit des Bodens,  den Arbeitsverfahren und natürlich dem Klima zusammen.

 

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Zum Schluss des Gesprächs zeigt uns Joel Perriard, wie er aus flüssiger, vorkristallisierter brauner Couverture filigrane Schokoladenspiralen kreiert. Aus einem Spritzsack presst er die Couverture in ein durchsichtiges Glas mit einer 40%-igen Alkoholmischung. Diese wurde vorher auf minus 20 Grad herunter gefroren. Perriard  lässt die 30 Grad warme Couvertüre in feinem Strahl sachte in den Alkohol sinken. Die Schokolade erstarrt auf Grund des Temperaturunterschiedes von 50 Grad sofort und in der Flüssigkeit bilden sich unter dem Schock innert Sekunden zarte, spiralförmige Figuren. Diese holt Perriard nun vorsichtig mit einer Pinzette heraus und bepinselt sie nach einer kurzen Pause mit einem goldfarben colorierten Pulver. Entstanden ist ein kleines Kunstwerk. Joel Perriard ist voll in seinem Element