PUBLIKATION

Hochbauamt Kanton Zug

ZUSAMMENARBEIT

Guido Baselgia (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.6.2011

FARBIGE SCHWINGUNGEN UND FLORALE FISCHE

 

Die Kunstwerke von Barbara Gschwind und Franziska Zumbach durchfluten Gerichts- und Studiensaal diskret und dynamisch zugleich.

 

Ungewissheit, Wut, Verzeihung, Freispruch, Trauer, Verzweiflung – die Koppelung der Rechtsprechung an grosse Emotionen war für die Aargauer Künstlerin Franziska Zumbach Ausgangslage für die Umsetzung ihrer Arbeit im neuen Gerichtssaal des Zuger Obergerichts. Von der zehnköpfigen Jury wurde sie unter 15 teilnehmenden Kunstschaffenden ausgewählt und damit beauftragt, den Gerichtsaal mit einer eigens dafür konzipierten Arbeit zu gestalten.

 

Dass die Teilnehmer einer Gerichtsverhandlung nun bereits im Vorraum mit Zumbachs Werk konfrontiert werden, ist bewusst gewählt. Zu einem Zeitpunkt, da alle Beteiligten um Klarheit der Gedanken ringen, sich auf das Kommende konzentrieren, wirft ihnen Franziska Zumbach mit zwei auf einer rosa Wand aufgetragenen Schriftmalereien die Poesie gleichsam wie ein Rettungsanker entgegen: «Nur ein Wort» steht  da links vom Eingang, «Eines Tages fällt mein Herz in den Wind» rechts vom Eingang.

 

Die «Hintergedanken», welche die Künstlerin bei der Wahl der Aussagen anstellte, haben einen konkreten Bezug zum Geschehen im Gerichtssaal, doch eigentlich möchte sie weitergehende Interpretationen den Besuchern überlassen. So kann sich «Nur ein Wort» auf das entscheidende «schuldig» oder «unschuldig» genauso beziehen, wie auf konkrete Tatbestandsmerkmale – etwa Arglist,  Skrupellosigkeit, Missbrauch, Irreführung, Fahrlässigkeit – die als Voraussetzung für die Strafbarkeit gegeben sein müssen. Die Schriftwahl fiel auf die legendäre «Times», einer typografische Adaption der römischen Antiqua, in der das römische Recht, auf dem unsere Rechtssprechung beruht, geschrieben wurde.

 

Im Inneren des Gerichtssaals hängen drei tendenziell monochrome Malereien der Künstlerin, wo das optische Wechselspiel von Nähe und Ferne thematisiert wird. Die verwendeten Pigmente werden in Öl und Alcydharzen gebunden und bringen ein breites Spektrum an farblicher Tiefenwirkung zur Geltung. Im Hauptblickfeld des Angeklagten sind optisch ruhige Bilder platziert, während das kontrastreichere und mehrteilige, rund vier Meter lange Fries nur im Blickfeld des Richtergremiums liegt. «Die Bilder sollen nichts darstellen» betont Zumbach, «sondern allein durch die Schwingungen der Farbklänge den Raum diskret durchfluten und eine Art Parallele bilden zur Gedanken- und Gefühlswelt der Anwesenden.» Insgesamt verhilft der künstlerische Beitrag von Franziska Zumbach diesem oftmals durch Anspannung geprägten Ort zu einer ruhigen und gelösten Atmosphäre.

 

Eine ganz andere Stimmung erzeugt die Arbeit von Barbara Gschwind, die von der Jury mit der «Kunst am Bau» in der Studienbibliothek im Sockelgeschoss beauftragt wurde. Die Luzernerin hat sich für eine florale Gestaltung in der Formgebung des Löwenzahns entschlossen. Bauwerke der Jahrhundertwerke, wie das Zeughaus, wurden gerne mit reichhaltigen Dekorationsmalereien aus der Pflanzenwelt ausgestattet, so die Überlegung der Künstlerin. Seit frühster Zeit liess man sich von Pflanzenformen inspirieren (Akanthus-, Palmblätter oder Lorbeer). Die dem offenen Raum zugewandte Brüstung bot sich als ideale Trägerin von Ornamenten an. Die Wandarbeit «Im Fluss» kommt in moderner Frische daher, bestehend aus einem Fries von in die Horizontale gedrehten Löwenzahnblättern. Durch dieses originelle Drehspiel transformieren sich die Blätter und scheinen sich nun wie neugierige Fische der Brüstung entlang um die gusseisernen Säulen durch den Lesesaal zu schlängeln.

 

Dazu hat die Künstlerin zuerst eine Vielzahl Löwenzahn gesammelt, gepresst und eingescannt. Mit Hilfe dieser Bilder hat sie anschliessend eine Schablone angefertigt, die als Vorlage dient, um die Blattformen mit Bleistift auf den Gips zu zeichnen. In einem zweiten Schritt werden die 10 bis 35 Zentimeter langen Motive einen Millimeter tief eingeritzt und anschliessend mit orange-rot eingefärbtem Gips wieder zugespachtelt. Für Barbara Gschwind können die «floralen Fische» ein Bild für die vielen, unsichtbaren und flüchtigen Gedankengänge sein, die dereinst von den studierenden Köpfen der Nutzer und Nutzerinnen des Raumes ausgehen werden. Bewusst bewegen sie dich Löwenzahnblätter im Gegenuhrzeigersinn – als Gegengewicht zur Lese- und Schreibrichtung.

 

Im Gesamtbild, so urteilte die Jury, entwickle die Anordnung auf der Brüstung eine attraktive Wirkung, ohne die Raumästhetik bestimmen zu wollen. Barbara Gschwind, die als Restauratorin in historischen Gebäuden gearbeitet hat, schmeichelt dieses Urteil. Es trifft im Prinzip auch auf die Arbeit von Franziska Zumbach zu. Beiden Künstlerinnen ist es mit ihren zurückhaltenden Interventionen gelungen, Gerichts- bzw. Studiensaal zu beleben, aber nicht zu dominieren.