PUBLIKATION

Zuger Neujahrsblatt

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.1.2010

DRAHT ZUR FERNE

 

Delhi, Dubai, Peking, Mumbai. Als Leiter der Kontaktstelle Wirtschaft der Zuger Volkswirtschaftsdirektion umwirbt Hans Marti Firmen, damit sie sich hier niederlassen. Ausgleich sucht er beim Gärtnern im Ferienhaus im «Säuliamt».

 

Zwar sind es nur lächerliche fünf Minuten Verspätung, mit denen Hans Marti den Raum betritt, um sich mit der angemeldeten Besucherin zu treffen. Gleichwohl ist dies für den grossgewachsenen Mitfünfziger ein Grund zur sofortigen Entschuldigung: «Einen Besuch warten lassen», begründet der Leiter der Kontaktstelle Wirtschaft, «das darf nicht vorkommen.» Die Fotos, die an der Wand des Sitzungszimmers hängen und Zug aus der Vogelperspektive zeigen,  bieten sofort Stoff für ein Gespräch über das immense Wachstum des Wirtschaftstandorts, für den sich Hans Marti stark macht. Doch bevor es losgeht, knöpft der Chefbeamte seinen tadellos sitzenden Blazer auf und fragt: «Darf ich?»

 

Die Geste wirkt nicht aufgesetzt. Hans Marti pflegt die Manieren auf beiläufige Weise, strahlt Souveränität aus und legt gleichzeitig eine Lockerheit an den Tag, die ihn zu einem nahbaren und interessanten Gesprächspartner machen. Jahrelang in der Geschäftsführung und Beratung internationaler Grosskonzerne tätig – unter anderem Schindler, Franke, NCR, SwissRe, Ernst & Young - fungiert er seit Herbst 2001 als Leiter der Kontaktstelle Wirtschaft in der Volkswirtschaftsdirektion, berät die über 28'600 Firmen im Kanton und kümmert sich um allfällige Ansiedlungsinteressenten aus anderen Kantonen oder dem Ausland. Dass diese Tätigkeit mit zielgerichteten Reisen verbunden ist, versteht sich von selbst. Hans Marti, in Zürich auf gewachsen, in Zug zuhause, versucht allerdings, diese auf ein Minimum zu reduzieren. Gerade eben war er drei Wochen «on the road»: Zuerst in Johannesburg, wo er am International Business Linkage Forum IBLF, einem Investorenseminar und einer Expertenschulung teilnahm, dann in München am Global India Business Forum. Pro Jahr stehen auf dem Programm der Kontaktstelle diverse, kleinere Europa- und etwa drei grössere Überseereisen, wobei Marti sich diese mit seinen beiden engsten  Mitarbeitern aufteilt. Während ein Mitarbeiter sich dieses Jahr die USA vorknöpft, wird Marti – gemeinsam mit Vertretern des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und dem Kompetenzzentrum der Schweizer Aussenwirtschaftsförderung (Osec) – nach Indien ausschweifen. Seine Mission: «Zug; small world – big business.»

 

Der 1,2 Milliarden-Einwohner-Staat liegt Marti besonders am Herzen, weshalb er seit Jahren die Kontakte intensiviert und heute, wie er erzählt, Zugang zu den wichtigsten, alteingesessenen Familien hat. Dieser «Draht» sei  Voraussetzung dafür, dass eine Ansiedlung in Zug überhaupt geprüft wird. «Inder», so Marti, «haben zwar ihre eigene Mentalität, aber sie verstehen unsere Denkweise und wissen, wie wir ticken. Darum setze ich auch wirtschaftlich auf diese Karte.» Im Gegensatz etwa zu Japan und China, zwei Destinationen, die nicht mehr zuoberst auf der Prioritätenliste stehen. Bis vor zwei Jahren haben Marti und sein Team auch in diesen Regionen aktiv um Zug geworben, mussten sich aber im Laufe der Zeit eingestehen, dass es mit Akquisitionen - aus kulturellen, aber auch gesellschaftspolitischen Gründen – harzig läuft.

 

Beim Stichwort Reisen räumt Marti ein, dass es sich vermutlich sogar lohnen würde, noch mehr unterwegs zu sein, dies aber schlicht nicht drin liege. Denn: Entgegen der Annahme von vielen Leuten, besteht der Auftrag der Kontaktstelle Wirtschaft durchaus nicht nur darin, die Geschäftstätigkeit international tätiger Firmen in Zug wie Adidas, BP, Hugo Boss, C&A und BASF zu fördern, sondern genauso, die hiesigen KMU zu unterstützen und zu betreuen. «Der Bäcker, der Spengler, jeder, der ein Problem hat, kann zu mir kommen», sagt Marti und betont mit Nachdruck, dass es primär darum gehe, für  die Firmen vor Ort ein hilfsbereiter und kompetenter Ansprechpartner zu sein, wenn Fragen oder Probleme auftauchen. «Erzählen diese dann ihren Kunden und Lieferanten, wie gut es sich in Zug Geschäfte machen lässt, hat das mehr Wirkung, als wenn ich als Missionar der Verwaltung tausende von Kilometern um die Welt jette.»

 

Reisen des Reisens willen – für Marti kommt das nicht in Frage. «Reisen ist schliesslich auch anstrengend», findet Marti und erzählt anschaulich von Zehn- und Zwölfstunden Tagen in fernen Ländern und Städten, wo er abends nicht mal mehr die Energie aufbrachte, an der Hotelbar ein Feierabendbier zu trinken. Seine Einstellung zum Unterwegssein hat sich im Laufe der Jahre ohnehin geändert. Als er als 30-Jähriger für die Franke AG in den USA eine Firmenniederlassung aufbaute, und regelmässig zwischen Philadelphia und Zürich hin und her flog, war er richtig aufgeregt, ins Swissair Flugzeug einsteigen und abheben zu dürfen. Heute ist Marti froh, wenn er nicht über eine längere Zeitspanne hinweg aus dem Koffer leben muss, weshalb er versucht, 80 Prozent seiner Arbeitszeit in Zug präsent zu sein. Privat findet der zweifach Familienvater den Ausgleich in der Natur, regelmässig auch in seinem Wochenendhäuschen im Säuliamt, wo er sich beim Gärtnern die Hände schmutzig macht.

 

Delhi, Dubai, Peking, Mumbai, - Hans Marti sind die Destinationen vertraut, doch verliert er trotz Affinität zum Fernen den Draht zum Nahen und die Beziehung zum Lokalen nicht. Einmal musste der promovierte Maschineningenieur zu einem Augenschein nach Steinhausen, wo ein Kleinunternehmer ein Problem mit einem Parkplatz hatte. Die Angelegenheit schien unlösbar. Gemeinde- und Kantonsvertreter von Bau-, Umwelt- und Polizeiämtern fanden keinen Ausweg und gerieten sich gegenseitig in die Haare. Marti holte alle Involvierten an einen Tisch und forderte eine Lösung. «Es war ein Chaos, aber am Ende wurde man sich einig», erzählt Marti und strahlt. Der ehemalige Topmanager kann sich offenkundig auch an kleinen Erfolgen im lokalen Business freuen.