PUBLIKATION

Zentralplus

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

6.6.2013

STöRENFRIED UND STIMMUNGSMACHER

 

Kunst am Bau bleibt häufig unbeachtet und erhält zuweilen nicht jene Bedeutung, die ihr zustehen könnte. Wer ist schuld?

 

Der Aufregung haftet etwas Rituelles an. Und sie wirkt ein wenig aufgesetzt. Aber schlecht ist es nicht, wenn sich die SVP der Kunst im öffentlichen Raum annimmt. Sei es, um sich gegen den 30 Meter hohen Hafenkran  „Transit Maritim“ an der Zürcher Limmat zu wehren (Kosten: 600‘000 Franken). Sei es,  um  den Sinn einer  16 Meter hohen Kunstschaukel „Y“ in Altstätten zu hinterfragen (Kosten: 400‘000 Franken).  Oder sei es, wie unlängst in Zug, um sich über eine grosse Styropornase zu ärgern, die im Rahmen der Kunstaktion „Lost in Tugium“ den  historischen Pulverturm zierte und – Skandal! Skandal! - mit Steuergeldern in der Höhe von 5‘000 Franken finanziert wurde. Volkes Stimme darf dann mitreden, sich aufregen und einmischen in Sachen Kunst. Kunst, mit der man doch sonst nichts am Hut hat.


Wie so oft, wenn das Thema heikel ist, entzündet sich die Diskussion schon bei der Definition des Begriffes. Ist Kunst, die an die Architektur öffentlicher Gebäude oder Plätze gekoppelt ist, Kunst am Bau, Kunst im Bau oder sollte man klüger von Kunst und Bau reden? Experten der Kunstwelt sind ganz versessen darauf, sich mit solchen Spitzfindigkeiten auseinanderzusetzen. Ebenso wie mit der Frage, welche Werke in keine der drei genannten Kategorien passen, sondern in eine vierte Schublade gehören, nämlich zur Kunst im öffentlichen Raum.


Das Privileg der Stadtgängerin, die mit dem viel zitierten naiven, aber durchaus neugierigen Blick losmarschiert, besteht darin, sich um den kunsttheoretischen Überbau foutieren zu dürfen und stattdessen wirken zu lassen, was auf, in und um Zuger Bauten künstlerisch ins Auge springt: an Skulpturen und Malereien, Anstrichen und Inschriften, Werken aus Holz, Licht, Metall und Glas. Die Vielfalt, die vorherrscht, erklärt sich mit Auflagen an den Staat, der in seiner Funktion als Bauherr zur Förderung der Kunst am Bau gewissermassen verpflichtet ist, aber auch aus einem gestiegenen Interesse der Architekten an Gebäuden und Arealen mit künstlerischem Mehrwert. Fragen tauchen dennoch auf.


Wer von den 25‘000 Passanten und Pendlern, Geschäftsreisenden und Touristen, die täglich den Bahnhof Zug durchqueren, nimmt das vom ukrainisch-amerikanischen Künstlerpaar Ilya und Emilia Kabakov realisierte Trinkbrünnlein als Produkt einer intensiven kunsthistorischen Auseinandersetzung wahr? Zuerst fällt der schmächtige Wasserspender in der Mitte des Buskreisels einfach als unverhältnismässig kleiner Beitrag an eine riesige, leere Fläche ins Auge und man wundert sich: Fehlte der Auftraggeberin das Geld für etwas Grösseres oder musste beim Material (Carrara Marmor) gespart werden? Natürlich nicht. Kabakovs Skulptur, ist zu erfahren, sei voller Ironie und überdies eine Anspielung auf das seinerzeit skandalöse "Urinoir" des Kunstrevolutionärs Marcel Duchamp. Gut zu wissen. Aber der Brunnen – eingebettet in ein zweideutiges dreieckiges Rasenstück  – wirkt trotzdem zaghaft.


Anders verhält es sich mit der Lichtinstallation des US-Amerikaners James Turrell, die mit wechselnden Lichtszenen die Glasfassade und das Hallendach des Bahnhofs effektvoll hinterleuchtet und so für stille Action sorgt. Mit diesem Vorzeigeobjekt haben die SBB, Stadt und Kanton Zug gemeinsam einen Akzent gesetzt, der nicht einfach nur farbig ist, sondern eines so wichtigen Verkehrsknotenpunktes auch angemessen. Die ansonsten eher funktionale  und architektonisch zweckmässige „Betriebsmaschine Bahnhof“  wird durch das Licht beseelt. Wenn die Dämmerung anbricht, geht der Zauber los und hunderte von rot-grün-blauen Fluoreszenzröhrenpakete kleiden den Bahnhof in ein kräftiges Farbkostüm. Das Bahnhofgebäude scheint nicht mehr vor Ort zu verharren, sondern gerät in Bewegung als leuchtendes, übermütiges Volumen, das kräftig in die Stadt hinausstrahlt.


Möglich wurde dieses weitherum beachtet Projekt nicht nur, weil in der Position „Kunst am Bau“ das entsprechende Geld budgetiert war und die Bauherrschaft zusammen mit Sponsoren und Stiftungen für die Finanzierung aufkamen, sondern weil Jahre zuvor das Kunsthaus mit Tadashi Kawamata  im Bereich Kunst im öffentlichen Raum viel Sensibilisierungsarbeit geleistet hat. Kawamatas „Work in Progress“ löst bis heute Begeisterung aus und ist aus dem Ortsbild der Stadt nur schwer wegzudenken. Dass seine Holzinstallationen zwischen der Altstadt, der Seepromenade und dem Naturschutzgebiet für viele Passanten nicht als Kunstwerke in Erscheinung treten, ist nicht schlimm. Präsent sind die trotzdem. Was die ganze Sache so wertvoll und bei einem Grossteil der Leute wohl auch  populär macht, ist, dass diese Kunst sich nicht gegen einen direkten, ja gar profanen Nutzen sträubt und als Fussweg und Schattenspender genauso taugt wie als Sitzunterlage.


Ganz anders Anspruch und Wirkung von stark an ein Bau- bzw. Strassenwerk gekoppelten Kunstwerken. Sie existieren nicht solitär, sondern stehen in Abhängigkeit zu  ihrer grossen Schwester, der Architektur. Gekonnt umgesetzt ist dies bei der Wandmalerei von Maria Bettina Cogliatti in der Unterführung der Katastrophenbucht, bei den computergenerierten Siebdrucken von Peter Kogler im Treppenhaus des Kaufmännischen Bildungszentrums oder beim lebendigen Streifenspiel von Franziska Zumbach an der Fassade des Schulhauses Guthirt. Die unverkennbare Arkadenmalerei von Hans Potthof am Zollhaus verschafft den Wänden schliesslich mehr Raum und fordert die Sinne des Betrachters heraus, selbst wenn dieser am CS-Bankomaten nur ein paar Geldscheine entgegennimmt.


Als Exempel für eine geradezu idealtypische Symbiose von Architektur und Kunst kann schliesslich das Lebenswerk von Leo Hafner bezeichnet werden. Bei ihm, der selber einmal Bildhauer werden wollte, war Kunst stets Teil des Bauprozesses und nicht später hinzugefügtes Dekor. Entsprechend selbstverständlich integriert  sich in die moderne Fassade des ZKB-Gebäudes beim Postplatz das eher traditionelle Steinrelief von Josef Rickenbacher, das jedem Autofahrer vertraut sein dürfte, der unmittelbar unter dem Kunstwerk schon einmal auf Grünlicht gewartet hat.


Im Übrigen bleibt die Kunst am Bau häufig unbeachtet und erhält zuweilen nicht jene Bedeutung, die ihr zukommen könnte. Woran liegt das? Am Publikum? Am Ort? Oder an der Kunst selber?

Vertieft in ihre Bücher, kümmert es die Nutzer der neuen Studienbibliothek im ehemaligen Zeughaus wohl kaum, dass sich die dem offenen Raum zugewandte Brüstung als Trägerin von Ornamenten der Künstlerin Barbara Gschwind anbietet. Doch tatsächlich haben sich dort Löwenzahnblattformen dank einer listigen Drehung in Fische verwandelt, die sich neugierig um die gusseisernen Säulen durch den Lesesaal schlängeln. Zwei Stockwerke höher, im Verhandlungssaal des Obergerichts, hängen monochrome Malereien mit farblicher Tiefenwirkung von Franziska Zumbach. Sie durchfluten den Raum diskret und bilden eine Art Parallele zur Gedanken- und Gefühlswelt der Anwesenden. In einem Saal, wo Recht gesprochen wird – das hat die Jury schon im Wettbewerb klar gemacht – darf die Kunst keine Unruhe stiften, nicht irritieren, sondern soll zur Reflexion anregen. Selbiges gilt auch für die unscheinbare Inschrift „In Gedanken versunken“ von Andrea Wolfensberger, die am Ufer des Zuger Alpenquais die Kontemplation der Spaziergänger gleichermassen aufnimmt wie das Erinnern an die Opfer der Vorstadtkatastrophe von 1887. Wer hier nicht innehält, ist selber schuld.


Die  Grundlagen für die Förderung von Kunst am Bau finden sich für den Kanton Zug in zwei Erlassen: Einerseits im Gesetz über die Förderung des kulturellen Lebens von 1965, welches besagt, dass bei Neubauten des Kantons die Kulturkommission zwecks "Begutachtung von wichtigen Fragen der künstlerischen Ausschmückung" beizuziehen sei; anderseits in einem Regierungsratsbeschluss von 2007, wonach Kunst am Bau in den "Generellen Ablaufplan für Hochbauten des Kantons Zug" zu integrieren ist. Obwohl seither gemäss gängiger Praxis bei Zuger Neubauten 1–2 Prozent der Bausumme für Kunst am Bau reserviert sein sollte, kommt es immer wieder vor, dass der politische Wille zur Umsetzung am Ende doch fehlt. In solchen Fällen ist im Objektkredit anfänglich zwar ein entsprechender Betrag für Kunst am Bau reserviert, wird dann aber von den zuständigen Leitungsgremien wieder gestrichen. Dann nimmt die öffentliche Hand die Vorbildfunktion, die ihr diesbezüglich zustehen könnte, bewusst nicht wahr. Leider. Denn ausgebrochen aus dem musealen Schonraum  hätte  Kunst am Bau das Potential, das Bild des Kantons kontinuierlich  mitzuprägen:  als Aufheller, Anreger, Störenfried und Stimmungsmacher.


Kunst am Bau steht zum Bauwerk in einem besonderen Spannungsfeld. Die Architektur schränkt die künstlerische Freiheit mitunter ein oder erfordert Kompromisse. Eine delikate Rollenverteilung, wie die Akteure bestätigen. Umso wichtiger ist eine frühe und enge Zusammenarbeit zwischen Künstler und Architekt. Nur so kann verhindert werden, dass am Ende die Kunst als von oben verordnete  Alibi- oder Pflichtübung wahrgenommen wird.  Die blauen Pflanzsäcke von Christoph Haerle waren von Anfang an integraler Bestandteil der Aussenraumgestaltung des Verwaltungszentrums an der Aa. Zwar „sitzen“ sie nur auf dem Gras und wirken auf diese Weise wie von Riesenhand zufällig auf das Areal gestreut, doch gedeihen sie hier seit über zehn Jahren prächtig und haben sich ihren Platz als unkonventionelle, optische Bereicherung erobert. So macht das Kunstwerk mit dem Titel  „Willkür“ seinem Namen alle Ehre. Nur flüchtig in Erscheinung hingegen treten in unmittelbarer Nähe die auf  Beton gemalten Gesichter von Pavel Pepperstein bei der Strafanstalt Zug. Im Laufe der Jahre  haben sie sich durch Witterungseinflüsse noch mehr verflüchtigt. Gegenwärtig erinnern nur noch feine schwarze Linien an Peppersteins Gestalten. Umrankt von der feinen Verästelung und Blätterpracht wilder Reben muss man gut hinschauen, um sie überhaupt zu sehen.


Zur Verschönerung einer mehr oder weniger attraktiven Umgebung bzw. gelungenen Architektur taugen Kunstwerke nicht. Viel mehr erheben sie Anspruch auf ein Eigenleben, welches allerdings  nur zu oft untrennbar mit dem Standort verbunden ist. Oder möchte sich jemand die Rössliwiese ohne Josef Staubs grossen, stählernen „Rugel“ vorstellen? Auch die gelborangen Farbflächen von Eugen Hotz, die ihre unbeschwerte Wirkung im Oberstufenschulhaus Loreto entfalten, markieren den Bau prägnant. Dank der mit Freitreppen untereinander verbundenen Pausenplätze scheint es, als würden Hotz‘ Farben durch die ganze Anlage fliessen. Wunderbar klar und einfach auch die Erklärung, die Hotz seinerzeit über seine Arbeit abgab: Das Werk möchte – ohne ein bestimmtes Sujets darzustellen – schlicht die fröhliche Atmosphäre eines Schulhofes widerspiegeln. Um wie viel nüchterner muten da die 22 Aluminiumbalken von Esther Stocker an, die auf einem grossen Betonsockel zwischen Pileup-Wohnhaus und Guthirt Kirche in verschiedene Richtungen verlaufen? Während manche Passanten fasziniert vor dem reduzierten Rastersystem stehen bleiben und die Veränderung des Kunstwerkes durch die eigene Blickperspektive wahrnehmen, lassen andere die kühlen, fast abweisend wirkenden Elementen links liegen.


Kunst am Bau muss zum Betrachter mit einer eigenen Sprache sprechen, die Routine des Passanten unterbrechen, einen Besinnungsort markieren. Beim Erweiterungsbau der Kantonsschule Zug ist es das Farb- und Materialspiel im flachen Wasserbecken von Elisabeth Arpagaus, das geradezu poetisch auf den mächtigen und schnörkellosen Baukörper eingeht. Im Schulhaus Burgbach ist es die schwungvolle Eisenfigur von Bruno Scheuermeier, die Schulkinder zu den tollkühnsten Turnübungen animiert. Hier wird  balanciert, gedreht, geturnt, geklettert, geschwungen und gesprungen, was das Zeug hält; und es hält tatsächlich! Weder Suva- noch EU-konform, bietet die namenlose Skulptur alles, was das kreative und bewegungsfreudige Kindstalent erfreut: Standhaftigkeit, Höhe, Risiko. Und was dieses formabstrakte „Spielkunstwerk“ vom gängigen Spielplatzmobiliar unterscheidet: hier muss man zuerst denken, bevor man klettert.  Einfach Genial. Und hohe Kunst.