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TEXT

Sabine Windlin

DATUM

15.2.2001

EURO-TURBO AUF EURO-TOUR

 

Der Bieler FDP-Nationalrat eilt für die Initiative «Ja zu Europa» rastlos durch die Schweiz. Und ist zunehmend isoliert - selbst in der eigenen Partei.

 

Marc F. Suter sitzt im Auto und flucht. «Ich komme todsicher zu spät! Todsicher.» Er beschleunigt. Es schneit. Ausfahrt Morges. Endlich. Suter biegt ab. Punkt 20 Uhr steht sein Wagen still auf dem Parkplatz des Foyer du Théatre du Beausobre in Morges VD.

 

Hier beginnt die Euro-Tour, Suters Werbefeldzug durch die Schweiz für die Initiative «Ja zu Europa». Er hievt sich vom Autositz in den Rollstuhl, holt Schwung, rollt in die Mehrzweckhalle, stoppt hinter dem Rednerpult, greift zum Mikrofon und setzt an zum Plädoyer. Dann, plötzlich, schwillt seine Stimme an, erheben sich seine Hände, und kraftvoll, fast feierlich, verkündet er: «Es führt kein Weg an Europa vorbei!»

 

Marc Frédéric Suter - live on Tour. Zu sagen, er engagiere sich für die Europa-Abstimmung vom 4. März, wäre untertrieben. Marc F. Suter, 52, kämpft wie ein Verbissener. «Schon wieder!» Hört man die Gegner sagen, denn die wissen: Wenn der streitbare FDP-Nationalrat und Anwalt ein politisches Anliegen vorantreibt, dann kennt er kein Pardon. Der Querdenker aus Biel wirkt im Glaubenskrieg Schweiz- Europa neben den mutlosen Taktierern wie ein Märtyrer.

 

Der Drang nach politischer Öffnung ist familiär bedingt. Geboren in Biel, lebte Suter als Kindergärtler mit seiner amerikanischen Mutter zwei Jahre in den USA. Zurück in Biel, erlebte er ein internationales Zuhause. Sein Vater, Chef einer Uhrenfirma in Biel mit 250 Mitarbeitern, empfing für Exportgeschäfte regelmässig Geschäftsfreunde aus der ganzen Welt. Die internationalen Kontakte beeindruckten den Filius. Später besuchte er die französische Schule und verreiste - nach seinem folgenschweren Autounfall im Simmental - als Austauschstudent nach Kalifornien. «Ausländisches», sagt er, «war für mich nie fremd.»

 

Mit der Initiative «Ja zu Europa» will Suter zweierlei: Erstens soll der Bundesrat «ohne Verzug» Beitrittsverhandlungen aufnehmen, zweitens will er die politische Annäherung an die EU im Volk wieder populär machen. «Seit 1992 verharrt das Land in geistiger Achtungstellung vor dem Volks-Nein zum EWR.» Die Zaghaftigkeit des Bundesrats sei ein Kniefall vor der Auns.

Was ihn interessiert, ist nicht die Frage, ob durch einen EU-Beitritt der Käse zehn Rappen billiger oder teuerer wird, sondern ob die Schweiz weiterhin fremdbestimmte Entscheide passiv nachvollziehen will statt als Aktivmitglied mitzubestimmen. «Die Verlängerung des unfruchtbaren Streits blockiert die Schweiz total», sagt Suter. Gleichzeitig weiss er: Er wird diese Abstimmung verlieren und damit, so Bundesrat Deiss, «der Sache Europa mehr schaden als dienen». NZZ-Redaktor Max Frenkel wirft ihm Verantwortungslosigkeit vor und glaubt, er stelle mit seiner Sturheit die «normalen demokratischen Abläufe auf den Kopf». «Ein Affront!», kontert Suter. «Der kriegt noch Post von mir.»

 

Schliesslich sei nicht er es gewesen, der sich im Sommer 2000 ohne Not und notabene auf Wunsch des Bundesrats weigerte, das langfristige EU-Beitrittsziel in der Verfassung festzuschreiben, sondern der konservative Ständerat. Suter möchte diesen Morgen des 28. Septembers 2000 am liebsten aus seinem Gedächtnis streichen. Denn hier sei ihm klar geworden: Politiker zeigen sich aus Rücksicht auf eine sichere Wiederwahl «resistent gegen jegliche Avancen staatspolitischer Vernunft».

 

Ungeduldig macht ihn nicht Christoph Blocher - «der hat wenigstens ein Ziel» -, sondern die Zögerer und Zauderer, die seit Jahren repetieren und lamentieren: «Wir lassen alle Optionen offen.» In diesem Sinne war für ihn auch die Lektüre des «Aussenpolitischen Berichts 2000» des Bundesrats eine Enttäuschung. Das 50-seitige Papier lasse an «Klarheit zu wünschen übrig». Mit anderen Worten: Es strotzt vor Phrasen. «In Zukunft werden noch mehr als bisher vernetzte Antworten auf komplexe Problemstellungen vonnöten sein», steht da. Oder: «Innen- und Aussenpolitik sind untrennbar miteinander verknüpft.» Manchmal drückt sich aber Suter um klare Worte. Zum Beispiel wenn es um die Beschneidung der Volksrechte geht. Bei einem EU-Beitritt, sagt Suter, würde der Anwendungsbereich «ein bisschen» eingeschränkt.

 

Tatsache ist: Knapp drei Wochen vor dem Abstimmungs-Wochenende kursieren die wildesten Gerüchte. Europa-Gegner müssten Ja stimmen, weil mit dem später folgenden Beitritts-Nein das Thema EU für immer vom Tisch sei. Europa-Fans müssten umgekehrt Nein zu «Ja zu Europa» stimmen, weil die Schweiz nur dann garantiert ein EU-Mitglied werde, wenn er als Aussenminister seinen Fahrplan selber bestimme - ganz nach dem Motto: Verhandlungen nicht jetzt, Beitritt irgendwann mal.

 

«Wer soll das noch verstehen?», fragt Suter müde und beisst verärgert in die gigantische Crèmeschnitte, die ihm die Parteipräsidentin der FDP Tscheppach SO - Slogan: «FDP - für alle Schichten» - in die Hand gedrückt hat. Auch hierher, auf den Bucheggberg, ist er abends noch für ein Referat angereist - vergebens. Am Ende beschliesst die Parteiversammlung ein Nein zu Europa. Beeindruckt von Suter ist man dennoch: Ein Euro-Turbo im Rollstuhl fährt extra für einen Vortrag in ihr Kaff - Chapeau! Ein Mann mit Idealen.

 

Aber Suter ist frustriert. Nicht über das Nein der kleinen Ortspartei - da hat er nichts anderes erwartet -, sondern über die FDP Schweiz. Die Art und Weise, wie sie sich zu Europa stelle, sei doch ein «Trauerspiel». Und das kam so: 1995 nahmen die Delegierten unter dem Stichwort «Vision 2007» den EU-Beitritt in ihr Programm auf und stellten damit strategische Klarheit vor taktisches Kalkül. Man wolle, versprach die Parteileitung, die «gradlinige, konsequente Integrations-Politik fortsetzen.» Fünf Jahre später sieht alles anders aus. Der designierte FDP-Präsident Gerold Bührer, der im Sommer 2000 noch eifrig für die Bilateralen kämpfte, gilt parteiintern als Euro-Bremse. Er sitzt zusammen mit Vreni Spoerry und Franz Steinegger - im gegnerischen Komitee zu «Ja zu Europa».

 

In der Hitze des Gefechts - und das nervt Suter am meisten - sei der konservativen Opposition schlicht ein Faktum entgangen: Nur wenn überhaupt das Ergebnis von Beitrittsverhandlungen vorliegt, werden die unmittelbaren Konsequenzen eines EU-Beitritts klar.

So argumentiert auch Suters politischer Mitstreiter und Freund Eugen David. Der CVP-Ständerat aus Sankt Gallen unterstützt Suter im Abstimmungskampf und erlaubt sich wie Suter auch gelegentlich eine eigenständige Meinung. «In der FDP fällt Suter heute doppelt auf, weil die Fraktion mit Otto Schoch und René Rhinow zwei echt liberale Figuren verloren hat.» Die Verbissenheit, mit der Suter kämpft, überrascht David nicht. «Sein Einsatz bestätigt, was bekannt ist: Er macht Politik aus Überzeugung und nicht, weil er in der Partei Karriere machen will.»

Das wäre auch schwer vorstellbar. Denn der Einsatz für einen möglichst schnellen EU-Beitritt ist nur ein weiteres Beispiel, bei dem Suter sich der Parteidoktrin verweigert und fraktionsintern zum Aussenseiter gestempelt wird. Er kämpfte für die von der Linken geförderte Lenkungs- abgabe, wetterte gegen die Anschaffung des Kampfjets F/A-18 und kritisierte die Wohneigentums-Initiative, die Hauseigentümer von Steuern entlasten wollte.

 

Die Liste seiner Vorstösse liest sich mitunter wie der Leistungsausweis eines Sozialdemokraten: Er wollte die Rückschaffung von Flüchtlingen aus humanitären Gründen verschieben, längjährig ansässigen Ausländern Aufenthalt gewähren und eine Aufklärungskampagne gegen Antisemitismus. Als ihn der Verdacht beschlich, die Wirtschaftslobby kämpfte mit unlauteren Argumenten gegen die drei Energievorlagen, forderte er eine Ombudsstelle gegen Falschinformation vor Abstimmungen.

 

«Auch jetzt», braust Suter auf, « wird ja wieder vieles verdrängt, verklärt und verdreht! Jeder will es besser wissen.» Wirtschaftsminister Pascal Couchepin sagt, bei Annahme der Initiative käme die EU-Abstimmung 2004. Alt-Botschafter Philippe Lévy redet von 2006 oder 2010 und Suter von 2007. «Ich bin also kein Euro-Turbo», rechtfertigt er sich, «sondern ein echter Liberaler.»

Energisch verweist Marc F. Suter auf seinen Platz im aktuellen Parlamentarier-Rating der Universität Freiburg. Auf der Skala zwischen -10 (links) und +10 (rechts) stoppt Suter bei 0 Punkten. Wirtschaftspolitisch ist er brav auf der freisinnigen Parteilinie.

 

Beim Europa-Brunch mit Daniel Cohn-Bendit im Zürcher Kunsthaus endet die Euro-Tour, und Suter sagt: «Ich bin froh, wenn der 4. März vorbei ist.» Manchmal, wenn er spät nachts mit seinem schwarzen BMW wieder Richtung Seeland nach Hause fährt, vermengen sich Kampfeslust, Ingrimm, Müdigkeit und Tatendrang zu einem unverdaulichen Konglomerat, und der Bieler fragt sich ernsthaft: Lohnt sich das alles?