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Facts
 

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

7.9.2000

EINSATZ FüR DEN HUTU

 

SVP-Nationalrat Walter Schmied fordert vom Bundesrat, den ehemaligen ruandischen Verteidigungsminister James Gasana zu rehabilitieren.

 

Mit Afrika hat der SVP-Nationalrat Walter Schmied aus dem Berner Jura wenig am Hut. Von Hunger, Tod und Elend auf dem Schwarzen Erd- teil erfährt der Politiker aus den Medien. Neuerdings weiss Schmied sogar, wo Ruanda liegt. Denn seit kurzem befasst sich der 47-jährige Junggeselle auf parlamentarischer Ebene mit einem Ruander, mit James Gasana, dem früheren Verteidigungsminister des ostafrikanischen Staates.


Gasana flüchtete im Juli 1993 mit aktiver Unterstützung der Schweizer Behörden in die Schweiz. Im Auftrag des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) arbeitete er während fünf Jahren als Forstexperte. 1998 erklärte der Bundesrat Gasana überraschend zur Persona non grata. Ausschlaggebend war eine Interpellation des damaligen SP-Nationalrats und Afrikakenners Jean Ziegler. Sein Vorwurf: Gasana sei Drahtzieher des Genozids gewesen, bei dem 1994 in Ruanda über eine Million Tutsi und regimekritische Hutu ermordet wurden.


Walter Schmied, langjähriges Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, kann das nicht glauben. Er ist von Gasanas Unschuld überzeugt. «Man hat einen verdienstvollen Staatsmann verdächtigt und ihn ungerechtfertigt in den Dreck gezogen», sagt er. Schmied hat deshalb vor Kurzem ebenfalls eine Interpellation deponiert. Seine Forderung: Die Landesregierung soll James Gasana offiziell rehabilitieren. Die bundesrätliche Antwort wird auf Mitte September erwartet.


Das Bemühen eines SVP-Politikers um die Wiederherstellung der verletzten Ehre eines Schwarzafrikaners mag verblüffen. Walter Schmied - in Bern geniesst er den Ruf eines Hinterbänklers - findet an seinem Engagement freilich nichts Aussergewöhnliches. Er setzt sich ein, wo er Handlungsbedarf sieht: Mal für die Geschwindigkeitserhöhung von Motorfahrzeugen mit Wohnwagen von 60 auf 80 Stundenkilometer, mal für einen 24-Stunden-Telefondienst für Drogensüchtige. «Jetzt aber», sagt der gelernte Agroingenieur mit kontrollierter Stimme, «führe ich einen Kampf der Gerechtigkeit.» Schliesslich achtet er den Ruander als Berufskollegen. Beide sind sie Landwirtschaftsexperten.


Alles, was der Jurassier, 47, über den Ruander, 50, weiss, sind die Eckdaten von dessen Lebenslauf. Gasana war in seinem Land von 1992 bis im Sommer 1993 in der Regierung Habyarimana Verteidigungsminister, er hat den Friedensvertrag von Arusha ausgehandelt und ist nach mehreren Attentatsversuchen im Sommer 1993 in die Schweiz ins Exil geflüchtet. Im September 1993 erhielt der promovierte Forstingenieur vom EDA einen Zweijahresvertrag als Forstsachverständiger. Anschliessend arbeitete er für Intercooperation, eine Organisation für Entwicklungszusammenarbeit, die ebenfalls im Auftrag des EDA Arbeiten ausführt.


Stolz waren die Schweizer Behörden, in Gasana eine ausgewiesene und viel umworbene Persönlichkeit gewonnen zu haben, die in Uganda, Venezuela und in den USA ausgebildet wurde und nebst seiner Muttersprache auch Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch sprach. Der Ruander - seit 1997 Ehrenmitglied beim Schweizerischen Forstverein - galt als internationale Koryphäe. Er leitete in den Achtzigerjahren Grossprojekte für die EU und die Weltbank, wurde weltweit gerühmt als «Mann des Ausgleichs», als «unerschrockener Kämpfer gegen Korruption».


Entsprechend gross war die Irritation, als Ziegler im März 1998 seine Interpellation einreichte. James Gasana, ein Hutu, sei unter der Diktatur Habyarimana mitverantwortlich für die minuziöse Vorbereitung des Völkermordes gewesen, schrieb Ziegler. Als Minister habe er die Erstellung von Listen überwacht, die später zur Ermordung der Tutsi-Minderheit und regimekritischer Hutu geführt habe.


Beim Vorstoss handelte es sich nicht um eine Ein-Mann-Aktion. Zieglers Interpellation wurde praktisch von der gesamten SP-Fraktion unterschrieben - darunter die Nationalräte Andreas Gross, Werner Marti und Remo Gysin - und besass entsprechendes politisches Gewicht. Aber statt abzuklären, ob die massiven Vorwürfe gegen Gasana gerechtfertigt waren, reagierte das EDA auf Geheiss des damaligen Bundesrats Flavio Cotti sofort: Per 23. März 1998 wurde der Vertrag mit Gasanas Arbeitgeber, der Intercooperation, sistiert. Für den Ruander kam dies einem Berufsverbot gleich.


Ziegler stützte seine Vorwürfe auf Berichte einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (Puk) in Belgien. Darin, behauptete Ziegler, werde die Rolle Gasanas ins «richtige Licht gerückt»: Als Minister habe er Listen überwacht, die einem ganz bestimmten Zweck gedient hätten - der Ermordung von oppositio- nellen Landsleuten.


In den belgischen Puk-Berichten, die FACTS vorliegen, taucht der Name James Gasana tatsächlich mehrmals auf - allerdings nicht als Kriegsverbrecher, sondern als Zeuge und Vertreter der Menschenrechtskommission CRDDR (Comité pour le respect des droits de l'homme au Rwanda). Was die Erstellung von Todeslisten betrifft, ist wohl die Rede von einem Gasana, allerdings nicht von James, sondern Anastase Gasana, Aussenminister der aktuellen Regierung in Kigali.
Im Nachtrag an den belgischen Rapport gab auch das EDA eine Studie in Auftrag. Dieter Weber, Oberauditor der Armee, und Albert Wirz, Schweizer Afrikaspezialist an der Berliner Humboldt-Universität, sollten eine mögliche Verwicklung Gasanas in den Genozid untersuchen. Ihr Bericht vom Mai 1998 fiel eindeutig aus: Die Vorbereitungen für den Genozid hätten im Januar 1994 begonnen. «Zu diesem Zeitpunkt befand sich Gasana nicht mehr in Ruanda.» Die beim internationalen Gerichtshof in Den Haag einge- holten Informationen bestätigten: Gegen Gasana lag nichts Inkriminierendes vor, im Gegenteil: Das Gericht beabsichtigte, den profilierten Exminister als «Personne de ressource» und Zeuge in einem Verfahren vorzuladen.


Die Schlussfolgerungen haben die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des EDA im Juni 1998 veranlasst, die Sistierung des Vertrags mit der Intercooperation aufzuheben. «Herr Gasana», hiess es plötzlich, «war in keiner Weise mitbeteiligt, Ruanda ins Chaos zu stürzen. Er hat versucht, dies zu verhindern.» Der Vertrag mit Gasana wurde trotzdem vorzeitig beendet. Offizieller Grund: Er habe sich in letzter Zeit zu intensiv an der politischen Diskussion über die Zukunft seines Landes beteiligt. Trotz dieser Kritik verlängerte der Bund Gasanas Aufenthaltsbewilligung, eine «permis humanitaire».


Walter Schmied, der SVP-Politiker, der in seiner Freizeit am liebsten fotografiert oder allein auf einen Berggipfel steigt, kann dem verwirrenden Sachverhalt schwer folgen. Er sagt: «Entweder ist man von der Unschuld eines Menschen überzeugt und will mit ihm zusammenarbeiten, oder man findet, er hat Dreck am Stecken und schmeisst ihn aus dem Land.»


Andreas Schild, Geschäftsführer von Intercooperation und ein früherer Student von Professor Ziegler, ist überzeugt: Gegen Gasana wurde eine konzertierte und konzentrierte Aktion der Verleumdung lanciert. Auslöser dürfte die geplante Veröffentlichung eines Buchs von Gasana gewesen sein, in dem er sowohl die Rolle der damaligen Rebellenarmee als auch das aktuelle Regime aufs Schärfste kritisiert. Für Schild steht zudem fest: «Ziegler hat sich von der ruandischen Communauté in Genf und von extremistischen Kreisen instrumentalisieren lassen.»


Der Verdacht, dass gegen Gasana eine Diffamierungskampagne geführt worden sei, wurde bereits vom ehemaligen ruandischen Premierminister Dismas Nsengiyaremye geäussert. In einem Brief vom 30. März 1998 schrieb er an Aussenminister Cotti: «Jene, die sich gegen Gasana stellen, sind auf das Spiel von ruandischen Extremisten hereingefallen.» Der Vorsitzende der ruandischen Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsaktivist Nkiko Nsengimana appellierte einen Monat später ebenfalls an den Bundesrat. Es handle sich um eine «hasserfüllte, verleumderische Kampagne», um eine «Treibjagd» gegen einen «Demokraten und Kämpfer».


Fest steht, dass Gasana, der mit seiner Frau am Genfersee wohnt, noch heute um sein Leben fürchten muss. 1994 und 1997 wurden in Ruanda seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder ermordet. Für Intercooperation ist Gasana als freischaffender Forstspezialist wieder aktiv - auf Anordnung des EDA allerdings nur im Rahmen von Entwicklungsprojekten, die nicht vom Bund finanziert werden. Und Jean Ziegler? Hält an seinen Vorwürfen fest. Dass eine Namensverwechslung vorliegen könnte, hält er für «absurd». Eine schriftliche Einladung Gasanas zu einem Gespräch schlug er aus. Ziegler: «Gasana hat mitgeholfen, die Interahamwe-Milizen zu organisieren. Aus ihnen rekrutierte sich der Grossteil der Mörder.»


Die Hauptfigur des Politdramas, James Gasana, rückt derweil seine SBB-Armbanduhr zurecht und sagt: «Jeder kann sich täuschen.» Die Hoffnung, dass ihn der Bundesrat offiziell rehabilitieren wird, hat der Ruander aufgegeben. «Der Zeitpunkt wäre schon vor zwei Jahren dagewesen.»
Seit Zieglers Aufsehen erregender Attacke sind nunmehr zweieinhalb Jahre verstrichen - eine lange Zeit auch für die Politiker, die den Vorstoss Zieglers damals mitunterzeichnet haben. Viele von ihnen sitzen nicht mehr im Parlament. Elmar Ledergeber beispielsweise: Er hat James Gasana mit seiner Unterschrift indirekt als Mörder verdächtigt. Jetzt ist er Stiftungsratspräsident von Intercooperation, jener Organisation, die mit Gasana noch heute zusammenarbeitet.


ENDE LAUFTEXT


Humanitäre Hilfe

Die Schweiz setzt sich in Ruanda für ein unabhängiges Justizsystem und für Randgruppen ein.
Die Schweiz und Ruanda verbindet eine langjährige Tradition von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe. Seit den Fünfzigerjahren wurde dieses Engagement personell und finanziell kontinuierlich verstärkt, insbesondere auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft.
Als am 6. April 1994 das Gemetzel unter den beiden Stammesgruppen Hutu und Tutsi begann, wurde Ruanda über Nacht vom hoffnungsvollen Partnerland zum blutigen Katastrophenfall. Beim Genozid wurden eine Million regimekritische Menschen abgeschlachtet, über zwei Millionen Menschen mussten flüchten.
Das Massaker gab im Herbst 1994 den Anlass, die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit mit Ruanda unter der Leitung des früheren Direktors des Bundesamtes für Justiz, Joseph Voyame, zu analysieren. Der so genannte Voyame-Bericht - von linken Parlamentariern als schönfärberisch kritisiert - kam zum Schluss: Die Schweiz habe sich einerseits zu lange in «politischer Abstinenz» geübt, anderseits den Genozid und dessen Ausmass nicht voraussehen können.
Heute setzt sich die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in der ostafrikanischen Präsidialrepublik vor allem für ein unabhängiges Justizsystem, die Schaffung eigenständiger staatlicher Institutionen sowie die Unterstützung von benachteiligten Gruppen ein. Zum dringendsten Problem gehört der Analphabetismus (80 Prozent) und die Situation der 120 000 des Völkermordes angeklagten Personen in den Gefängnissen. Pro Jahr setzt die Schweiz für Ruanda 22,7 Millionen Franken ein.