PUBLIKATION

NZZ am Sonntag

ZUSAMMENARBEIT

Katja Früh (privates Fotoarchiv)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

11.12.2005

«ICH SUCHE DEN TIEFGANG»

 

Als Drehbuchautorin von «Lüthi und Blanc» kreiert Katja Früh mehrheitsfähige Gefühlswelten. In ihrem eigenen Leben gab zuerst die Hochkultur den Ton an: der Schweizer Kult-Regisseur Kurt Früh.

 

Frau Früh, Sie haben uns ein topseriöses Bild mitgebracht. Vater und Tochter beim Lesen.
Na ja, ich schaue vermutlich ein Mickey-Mouse-Heftli an. Es ist aber ein sehr typisches Bild, denn ich machte immer, was mein Vater machte: Las er, las ich. Legte er sich hin, legte ich mich hin.


Waren Sie ein Papa-Kind?
Absolut. Wir hatten eine Art Geheimbund. Nicht dass er viel Zeit für mich und meine Schwester gehabt hätte. Das war damals nicht üblich. Aber er faszinierte mich, weil er anders war als die anderen Väter. Nicht streng, sondern witzig, kreativ und grosszügig. Er war sehr unkonventionell, verkehrte in einer interessanten Welt und brachte tolle Leute mit nach Hause. Er hielt mir Vorträge über Büchner, statt mit mir ins Schwimmbad zu gehen. Er war kein Patriarch, nicht mal ein Pädagoge. Aber das hatte natürlich auch seine Schattenseiten.


Und wie sahen die aus?
Für meine Mutter war es hart. Während Vater sich mit seiner Künstlerseele bei uns Kindern beliebt machte, musste Mutter uns Grenzen setzen. Die andere Seite des lustigen Vaters waren seine depressiven Phasen, seine Probleme mit dem Alkohol, gegen die er sein Leben lang kämpfte. Die Lustigkeit kippte dann in Aggression.


Sie sind in Zürich aufgewachsen und verwurzelt. Wie erlebten Sie das Zürich der siebziger und achtziger Jahre?
1968 war ich fünfzehn Jahre alt. Ich sass bis am frühen Morgen rauchend und trinkend im Restaurant «Pfauen» und mischte mich unter die Künstler, die dort verkehrten. Ich marschierte sogar bei den Globus-Krawallen mit, obwohl ich nicht genau wusste, worum es ging. Auch für das AJZ ging ich auf die Strasse. Harte Drogen nahm ich nie, aber ich war mit Leuten zusammen, die diverse Sachen ausprobierten. Meine Mutter machte sich Sorgen, dass ich abstürzen könnte. Ihre Angst rührte natürlich auch daher, dass mein Vater aus gesundheitlichen Gründen so früh verstarb.


Mit siebzehn Jahren zogen Sie nach Westberlin und liessen sich an der Max-Reinhardt-Schule zur Schauspielerin ausbilden. Ziemlich mutig für ein Mädchen in diesem Alter.
Stimmt. Aber auch diese Entscheidung hat mit meinem Vater zu tun. Er fand es wichtig, dass ich im hochdeutschen Raum lernte. Wir sprachen zu Hause ohnehin Hochdeutsch, da meine Mutter in Österreich geboren wurde. Das Ausland war für mich eine Möglichkeit, mich nach einem Jahr als «Mädchen für alles» am Theater Neumarkt von meiner einschlägig vorbelasteten Familie zu emanzipieren und zu zeigen, dass ich es ohne «Vitamin B» schaffte. In Berlin war ich auf mich selbst gestellt. Ich bewohnte ein kleines Zimmer bei einer Witwe am Ku'damm. Natürlich hatte ich Heimweh, aber mir war klar: Die Aufmerksamkeit und Bewunderung meines Vaters gewann ich nur, wenn ich eine schauspielerische Laufbahn einschlug.


Selber wollten Sie das nicht?
Ich wollte herausfinden, ob mir das Schauspiel entsprach. Nach der Schule hatte ich ein Engagement am Stadttheater in Wuppertal. Aber ich war enttäuscht. Dieser Betrieb hatte, im Gegensatz zum damals selbstverwalteten Zürcher Neumarkt, null Spontaneität und lief sehr routiniert. Ich war durchschnittlich talentiert und fühlte mich nicht wirklich wohl. Ich merkte, dass das nicht meine finale Bestimmung war. Also entschied ich mich für Regie und Dramaturgie auf der Hörspielabteilung von Radio DRS.


Das tönt so einfach, als hätten sich Ihnen die Türen wie von selbst geöffnet.
Ich hatte Glück! Heute wäre das nicht mehr denkbar, da braucht man Abitur und ein abgeschlossenes Hochschulstudium, bis man den Fuss in ein Lokalradio setzen darf. Unser Radioteam konnte alles Mögliche ausprobieren. Wir hatten viel Zeit und Geld zur Verfügung. Ich war voll Tatendrang - und wurde schwanger.


Berufliche Ambitionen im Paarlauf mit Mutterschaft - das funktionierte?
Nicht so gut. Ich startete blauäugig in die Familienphase und stellte mir vor, dass ich Drehbücher schreibe, während mein Baby still im Schafsfell neben mir liegt. Tatsächlich kam ich nur etwa eine Stunde pro Tag zum Schreiben, meist auf dem Spielplatz. Weil ich wenig Zeit hatte, waren die Kurzhörspiele für den «Memo-Treff» von DRS 1 meine ideale Arbeitsform.


War es nicht seltsam, als junge Mutter Hörspiele für Leute im Altersheim zu schreiben?
Nein, ich hatte Spass daran, mich in die alten Leute hineinzufühlen. Die Ideen holte ich mir in den Cafés, wo ich mich hinsetzte und mithörte, was die Alten zu besprechen hatten. Anfangs hätte der «Memo-Treff» ja nur einen Monat laufen sollen. Es wurden aber sieben Jahre daraus. Parallel dazu machte ich Fernsehinszenierungen und konzipierte eine Serie, aus der dann eben «Lüthi und Blanc» entstand.


Die erfolgreichste Fernsehfamilie, seit es SF DRS gibt.
Offenbar.


Schwingt da Genugtuung mit?
Gut möglich. Der Job war anfangs beinhart. Beim Fernsehen prophezeite man mir einen Flop. Das Schreiben war mit viel Druck und Auseinandersetzungen verbunden. Ich musste mich beweisen und durchsetzen. Zudem schrieb ich die Serie zuerst allein, hatte ein volles Arbeitspensum, und nebenbei gab es die Familie. Nach einigen Monaten landete ich mit einem Rückenschaden im Spital.


Die Soap ist ein Genre, das gerne belächelt wird. Genügt die Serie Ihren intellektuellen Ansprüchen?
Es geht nicht um Intellektualität. Wichtig ist, dass die Figuren echt sind. Dass Menschen darin vorkommen, mit Gefühlen und Konflikten, die auch in der Lebenswelt der Zuschauer vorkommen. Ich suche nicht die Seichtigkeit des Scheins, sondern einen gewissen Tiefgang im Alltäglichen. Ich denke, das gelingt uns - wir sind fünf Autoren - ganz gut, was nicht heisst, dass wir keine Fehler machen.


Welche denn?
Wir griffen das Thema Knochenmarktransplantation auf.


Ein Klassiker im Serienstoff.
Ja, Transplantationen, welcher Art auch immer, gehören in jede Soap, weil das Thema emotional vielschichtig ist. Aber man muss extrem aufpassen, wie man es anpackt. Bei uns war die Spenderfigur nach der Operation für eine Zeit lang im Rollstuhl zu sehen. Publikum und Organisationen protestierten und kritisierten, das sei Negativwerbung für Spender, weil wir signalisieren würden, dass man nach der Spende an den Rollstuhl gebunden sei. Es gab sogar eine Beschwerde.


Die Leute nehmen Ihre Serie für real.
Diesen Eindruck hatte ich auch und bin darüber erschrocken. Zwischen realitätsnah und real liegt doch ein Unterschied! Wir entschuldigten uns mit einem Brief bei den Organisationen, und die Sache war erledigt.


Welche «Fehler» können einem beim Drehbuchschreiben noch passieren?
Man kann Figuren auf eine falsche Schiene schicken. Der Verlauf der Biografie stimmt dann nicht mehr. Wenn man es merkt, ist es meist schon zu spät, und man muss die Figur mit Kniffen vom Irrweg wegholen. Oft gibt man ihr dann eine sogenannte Backstory. Das heisst, man verschafft ihr im Nachhinein Lebensumstände, von denen die Zuschauer bisher nichts wussten. Diese Backstorys können für Drehbuchautoren kompliziert werden. Und die Tatsache, dass die Serie mittlerweile aus über vierzig Personen besteht, macht es auch nicht einfacher, den Überblick zu wahren.


Ideen haben Sie noch genug?
Die entstehen immerfort und fast automatisch aus den einzelnen Figuren, die ständig etwas erleben und erleiden. Ich pflege ein nachbarschaftliches Verhältnis zu ihnen, und nach sechsjähriger Existenz führen sie so etwas wie ein Eigenleben. Es ist nicht so, dass ich ihnen sage, wo es langgeht, sondern sie mir.


Soll es ewig weitergehen?
Keine Angst. Meine Verträge mit der Produktion laufen jeweils für ein Jahr. Die können noch fünfmal erneuert werden oder nur einmal. Persönlich komme ich gut mit dieser Ungewissheit zurecht. Schwierig ist die unsichere Zukunft für die Handlungsfähigkeit des Serienpersonals. Die Entwicklung einer Figur verläuft anders, wenn ich weiss, dass diese noch lange fortbesteht, als wenn ihr Ableben am Bildschirm absehbar ist.

 

ENDE INTERVIEW


Katja Früh, 1953 in Zürich geboren, stammt aus einer einschlägig vorbelasteten Familie. Die Tochter der österreichischen Schauspielerin Eva Langraf und des Pioniers des Schweizer Kleinbürgerfilms Kurt Früh («Hinter den sieben Gleisen», «Dällenbach Kari») startete ihre Karriere in Deutschland als Schauspielerin, stieg aber schnell ins Regie- und Autorenfach um. Sie schrieb mehrere satirische Theaterstücke und Hörspiele; unter anderem viele Jahre lang für den «Memo-Treff» von Radio DRS. 1999 startete das Schweizer Fernsehen die von Katja Früh konzipierte und entwickelte Serie «Lüthi und Blanc». Die Geschichte über die Schokolade-Dynastie hier und ennet der Saane wird am Sonntag, dem 11. Dezember, in der 232. Folge ausgestrahlt. Katja Früh lebt mit ihren beiden Teenagern in Zürich.