PUBLIKATION

Schweizer Familie
 

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

18.6.2008

ALTE BABYS

 

 

Autofahrer- und innen, die über das Schlafdörfchen Gisikon Richtung Luzern fuhren, sprang die frohe Botschaft am linken Strassenrand förmlich ins Auge: «Julia 2. März 2006» stand auf dem Schild neben dem überdimensionierten, selbst gebastelten Kaminfeger aus Karton und Stroh. Die Figur kündete unübersehbar die Niederkunft eines neuen Erdenbürgers an. Ein schönes Ereignis, fürwahr, an welchem die Eltern alle Menschen, die an ihrem Bauernhof vorbeifuhren, teilhaben wollten. Die Bekanntmachung von Geburten in Form von Basteleien ist  in ländlichen Gegenden ohnehin weit verbreitet. Und dagegen gibt es nichts einzuwenden, würden die Tafeln bei Gelegenheit auch wieder abmontiert.

 

Doch dem ist nicht so. Monate-, ja jahrelang erinnern uns die Schilder mitunter an die Geburt der – mittlerweile dann doch nicht mehr so – frisch geborenen Babys und statt freudige Anteilnahme löst deren Präsenz nur noch Ärger aus. «Jetzt schraubt endlich diese Tafel ab!», forderte Betty, als wir dieser Tage Gisikon wieder Richtung Luzern verliessen und die  vom Wetter arg strapazierte Kartonfigur noch immer an die mittlerweile zehn Monate zurückliegende Geburt von Julia erinnerte. Zur Verteidigung deren Eltern warf ich ein, dass wohl in der Euphorie entweder die Demontage vergessen worden sei, oder aber mit dieser bewusst und demonstrativ zugewartet wurde. Ganz nach dem Motto: Unser Kind ist zwar schon ein halbes Jahr alt, doch unsere Freude darüber noch so gross wie am ersten Tag.

 

Es verfügen eben nicht alle Menschen über die selbe, «innere» Uhr, folgerte ich und erinnerte mich an eine Schulfreundin, die ihre Osterhasen ganz gerne bis zum Spätsommer auf dem Buffet zur Schau stellte, die Herbstdekoration bis im Frühling am Fenster kleben liess und den Adventskranz erst versorgte, als die Pfingstrosen blühten.

 

«Deine Mutter war da ganz anders», warf Betty ein und lobpreiste deren Entschlossenheit im Bezug auf saisonal bedingten Hausschmuck, dessen Sinn und Reiz ja gerade in seiner Halbwertszeit liegt. Exakt zwölf Tage nach Heiligabend, am Tag der Heiligen drei Könige, marschierte sie jeweils zielstrebig zum Komposthaufen, die dürre Weihnachtstanne unter den Arm geklemmt und kommentierte energisch: «Weg mit dem Besen!»