PUBLIKATION

Weltwoche
 

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

28.4.2005

ERFASST VON DER WELLE

 

Wellness heisst übersetzt: Die Hoteliers machen Geld mit Heu und sorgen dafür, dass der Gast keine Lachfältchen bekommt.

 

Die «Spa Trophy» ist sozusagen der Oscar des Wellnessbusiness. Entsprechend stolz nahm jüngst das Besitzerpaar Christina und Armin Pfurtscheller vom Hotel «Jagdhof» in Neustift die Trophäe entgegen. Ihr potthässliches Fünfsternechalet in den Stubaier Alpen in Tirol wurde für seinen 2000 Quadratmeter grossen Vital- und Beautybereich ausgezeichnet. Zur Ausstattung gehören Kräuterbad, Kneipp-Rondell, Hot Whirlpool, Eiskristallturm, Inhalierungsgrotte und Fichtensauna.


So viel Spa war nie. Und weil der Begriff derzeit so populär ist, sei an dieser Stelle verraten, was er bedeutet: nicht Sprudel-Plansch-Anlage, wie häufig vermutet, sondern sanus per aquam ­ gesund durch Wasser. Ein gutes Motto, eine vernünftige Idee, eine Welle, die auch die Schweiz erfasst hat. «Wir waren wellnessen», hört man immer öfter. Zum Beispiel im Hotel «Lenkerhof» im Berner Oberland, einer der beliebtesten Adressen unter jungen Städtern mit Regenerationsbedürfnis.


Mit Erholung ist da gar nix! Eile ist geboten, soll das Angebot optimal genutzt werden. Schliesslich ist es nicht ganz billig. Schilder weisen in der Nasszone in alle Himmels-richtungen, und nackte Menschen sind ein klares Signal: Die Sauna ist nicht weit. Aber man muss sich da entscheiden: Kräutersauna, Biosauna oder Steinölsauna? Wie die Wahl auch ausfällt: Am liebsten würde man dies nun in aller Ruhe geniessen. Ruhe? Im Hintergrund sirren fernöstliche Klänge, und an der Holzdecke blinken farbige Sternchen nervös wie Polizeilichter. Nach dem Royal-Hydro-Bad mit automatischer Unterwassermassage (72 feine Düsen) sowie mikrofeiner Luftbeimischung für Aromatherapie ist man erledigt, liegt wie eine tote Fliege auf dem Hotelbett und schafft es nur mit Ach und Krach zum Abendessen. Die Stimmung im Saal ist wie im Hamam: gedämpft. An der Bar, wo einst Whisky getrunken, geflirtet, geschimpft und gelacht wurde, langweilen sich die Gäste bei Rooibos-Tee, die Zigarrenlounge bleibt selbstverständlich leer.


Es ist einfach des Guten zu viel: Kein frisch gepresster Orangensaft wartet am Frühstückstisch, sondern ein Multivitaminsaft, für den Tomaten, Birnen, Kohl und Kiwi wild zusammengemixt worden sein müssen; anders lässt sich der sauer-warme Geschmack nicht erklären. Und statt sich das Birchermüesli servieren zu lassen, unternimmt man einen fünfminütigen Fussmarsch zum Buffet, wo unter Zuhilfenahme einer Getreidemühle die Körner schweisstreibend selbst gemahlen werden müssen. Vielleicht gehört das ja zur ganzheitlichen Lebensrezeptur. Doch wo kommt der bestialische Gestank fauler Eier her? Ah, da steht ein Krug mit Schwefelwasser.


In Wellnesshotels herrscht kein natürliches Wohlbefinden, sondern imperativer Wohlfühlzwang. Begleitet von den dazugehörigen Notwendigkeiten: Frotteepantoffeln und ayurwedische Duschgels allenthalben, ein kaum überschaubares Angebot von Meersalz- und Algenwickeln, von Lymphdrainage und Fussreflexzonenmassage. Hinzu kommen Reiki, Pilates, Thalasso, Shiatsu. Alle zehn Meter stolpert man über einen Früchtekorb, wo Äpfel und Birnen, aber auch Pflaumen, Mangos und Lychees zum Verzehr geboten werden.



Früher trugen Réceptionistinnen Foulards aus Seide, heute kleiden sie sich in Halstücher aus Filz ­ immerhin nicht Jute. Die Gäste schleichen vorwiegend im Morgenrock durch die Gänge. Selten hört man ein Lachen, alle sind aufs Wohlfühlen konzentriert. Das ist anstrengend.


In Berlin fand kürzlich das 1. Wellness-Forum statt. Das berufsbegleitende Fernstudium zur Wellnessberaterin und zum Spa-Manager ist erfolgreich gestartet, die Europäische Wellness-Union (EWU) längst gegründet. Kuoni wirbt im aktuellen Katalog für Aufenthalte in zahllosen Wohlfühloasen. Die Wellnessbranche ist ein hoch profitables, den Drang zu Schön- und Gesundheit clever ausnutzendes Business, das vernünftigen Menschen die absurdesten Ideen aufdrängt. Wie sonst ist zu erklären, dass attraktive Mittdreissigerinnen für ein paar Milliliter Papayapeeling mit Jojobawachsperlen, eine Ananascrememaske mit grüner Tonerde oder ein Aloe- Vera-Gel mit Minze der Luxus-Beauty-Linie St. Barth Hunderte von Franken lockermachen? Vielleicht weil sich die Labors der Firma auf der wohlklingenden Karibikinsel St-Barthélemy befinden. Das muss ja wirken.


Und die Angebote werden immer verrückter! Das Romantik-Hotel «Turm» in Völs am Schlern ­ die Tiroler sind unschlagbar ­ trumpft mit Traubenkernölmassage für Paare auf, die dank den im Öl enthaltenen Polyphenolen die Hautalterung bekämpft. Um die Wirkung zu intensivieren, legt man sich anschliessend gemeinsam ins Heu oder aufs Wasserbett, lauscht im abgedunkelten Raum dem artifiziellen Vogelzwitschern und atmet jodhaltige Luft.


Es liegt auf der Hand, worauf man nach so viel Essenzen und Extrakten Lust hat: auf einen Totalabsturz, eine wilde Party, Drogen und viel Alkohol. Was in zehn Jahren mit den Hunderttausenden Spa-Quadratmetern passiert, wenn der Wellnessboom vorbei ist, darüber braucht sich niemand zu sorgen: Parkplätze braucht es immer.