PUBLIKATION

NZZ am Sonntag

ZUSAMMENARBEIT

Bice Curiger (privates Fotoarchiv)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

21.5.2006

«ICH BIN NICHT HARMONIESüCHTIG»

 

Bice Curiger, Kuratorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift «Parkett», gilt nicht nur als sehr einflussreich, sondern auch als eigenwillig. Ihren Vater hätte sie sich aber lieber konventioneller gewünscht.

 

NZZ am Sonntag: Frau Curiger, Sie spazieren hier Hand in Hand mit Ihren Eltern. Waren Sie immer so artig?
Natürlich nicht, aber das hier ist ja ein Sonntagsspaziergang. Ein typisches Fünfziger-Jahre- Foto: Der Vater mit Krawatte, die Mutter im Deux-Pièces, und ich eingemittet zwischen beiden.


Das fotografisch festgehaltene Familienglück ist echt?
Ja, ich hatte eine glückliche Kindheit. Wenn ich hier von meinem Büro in der Stadtzürcher Villa Tobler auf die Stadt hinunterblicke, sehe ich sämtliche Koordinaten meiner Kindheit: die Pflegerinnenschule, wo ich geboren wurde; die Weinbergstrasse, wo ich aufwuchs; die Schulhäuser, in die ich zur Schule gegangen bin; und die Universität, in der ich studiert habe.


Hat Kunst im Hause Curiger eine Rolle gespielt?
Beide Eltern waren visuelle Menschen, aber keine Kunstfreaks. Meine Mutter konnte gut zeichnen, mein Vater war Architekt und hat Fabriken gebaut. Mir ist er als erfindungsreicher und verhalten unkonventioneller Typ in Erinnerung. Wenn er morgens aus dem Haus ging, hinterliess er mir auf dem Frühstückstisch lustige Skulpturen aus Salatbesteck und Geschirr. Ich fand dies sehr witzig. Aber manchmal hätte ich mir gewünscht, dass er konformistischer gewesen wäre, dass er zum Beispiel abends, wie das die Väter meiner Schulfreundinnen taten, in der Quartierbeiz sein Bier getrunken hätte.


Wieso das denn?
Als Kind will man doch immer so sein wie die anderen Kinder. Ich war schon durch die Tatsache, dass meine Mutter Tessinerin ist, und vor allem durch meinen Status als Einzelkind eine Art Sonderfall, weil in den fünfziger Jahren die Einkindfamilie die Ausnahme war. Im Nachhinein sehe ich das allerdings nicht als Nachteil. Meine Position als Einzelkind hat mich vermutlich sogar in meiner Persönlichkeit gestärkt.


Wann begannen Sie sich für Kunst zu interessieren?
Mit vierzehn Jahren. Ich las in einer Architekturzeitschrift meines Vaters etwas über Pop-Art. Das war wie eine Erleuchtung für mich. Kunst, merkte ich, ist nicht mehr dieses betuliche Zeugs, sondern hat sehr wohl mit der Zeit, in der wir leben, zu tun.


Das Studium der Kunstgeschichte war gesetzt?
Ja, allerdings war ich schnell enttäuscht. An der Uni war zeitgenössische Kunst überhaupt kein Thema. Die Kunstgeschichte hörte bei Cézanne auf.


Anfangs arbeiteten Sie als Kunstkritikerin. Warum sind Sie es nicht geblieben?
Ich sah die Grenzen der Kunstberichterstattung. In der Tagespresse musste man die Begeisterung für einen Künstler oder eine Künstlerin möglichst verstecken. Sonst galt das als unprofessionell.


War diese Unlust auf Objektivität ein Grund für die spätere Gründung von «Parkett»?
Ja, wir verstanden und verstehen uns als Partner der Künstler. Ich hatte keine Lust, Künstler sogenannt «nüchtern» aus der Distanz zu beurteilen. Die Gründung von «Parkett» geht auf einen heissen Sommertag im Jahre 1983 zurück, da ging ich mit meinen Studienfreunden Jacqueline Burckhardt und Walter Keller essen. Wir klagten einander unser Leid über das Fehlen einer Publikation, die über Zürich hinausblickt, und entschieden noch am gleichen Abend, selber ein Magazin zu gründen. Zum Glück waren wir damals naiv genug und wussten nicht, was die Lancierung einer Zeitschrift, die ja Buchformat hat, bedeutete. Jeder der vier Gründungsmitglieder legte 15 000 Franken auf den Tisch. Das war unser Startkapital.


Wenig Geld für eine Publikation, die später zu einer der renommiertesten Kunstzeitschriften avancierte.
Wir hatten oft Geldsorgen und mussten private Spender suchen. Zeitweise war unser Projekt echt gefährdet. Umso stolzer sind wir darauf, dass das Heft seit 22 Jahren überlebt. Alle Künstler, die heute Rang und Namen haben, publizierten schon früh in «Parkett»: Jeff Wall, Bruce Nauman, Thomas Hirschhorn, Pipilotti Rist, Sylvie Fleury, Gerhard Richter, Nan Goldin, Jeff Koons, Cindy Sherman, Damien Hirst, um nur einige zu nennen.


Künstler, deren Weg sich einmal mit Ihrem kreuzte, kommen gross heraus.
Ein Automatismus steckt sicher nicht dahinter. Aber es stimmt, dass wir mit «Parkett» eine vielbeachtete Plattform schufen, die auch im Ausland zur Kenntnis genommen wird.


Täuscht es, oder ist Ihr Werdegang frei von beruflichen Niederlagen?
Das täuscht. Meine Ausstellungen erhielten nicht immer gute Kritiken. So etwa «Birth of the Cool», die ich 1996, oder «Freie Sicht aufs Mittelmeer», die ich 1998 im Zürcher Kunsthaus kuratierte, bekamen lauwarme bis schlechte Kritiken.


Eine negative Kritik ist doch noch keine berufliche Niederlage.
Okay, dann wäre da noch meine aussichtslose Kandidatur für die Leitung der Kunsthalle Bern zu erwähnen, um die ich mich mit 34 Jahren bewarb. Der damalige Präsident der Kunsthalle, Staatssekretär Paul Jolles, lud mich zum Vorstellungsgespräch in sein Büro ins Bundeshaus ein. Ich hatte weiche Knie und fühlte mich sehr unwohl. Am Tisch sassen ein halbes Dutzend Männer und stellten mir seltsame Fragen, die ich alle nicht beantworten konnte und mochte. Doch hätte ich den Job bekommen, gäbe es «Parkett» nicht.


Waren Sie sich Ihrer Funktion als Anlageberaterin bewusst?
Nein. Die Idee der Editionen bestand darin, der Leserschaft zusätzlich zur Zeitschrift jeweils ein Original- Kunstwerk in kleiner Auflage und kleinem Format anzubieten. Es gibt ein paar wenige Sammler, die den kompletten Satz der «Parkett»-Editionen besitzen. Diese haben nun tatsächlich einen gewissen Wert. Mich selber hat die spekulative Dimension der Kunst nie interessiert.


Spekulanten widerstreben Ihnen?
Mir widerstrebt die Hysterie der sich multiplizierenden Auktionspreise auf dem gegenwärtigen Kunstmarkt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es die Medien dazu verleitet, nur noch diesen pekuniären Aspekt zu diskutieren. Diese ewiggleiche Litanei hat die Feuilletons infiziert. Es ist einfach, sich über den Markt zu erregen. Viel einfacher, als sich mit Kunst auseinanderzusetzen!


Besuchen Sie Auktionen?
Ich habe in meiner Karriere wahrscheinlich drei Auktionen live erlebt. Eine davon war 2004 New York, als der vom Meteoriten erschlagene Wachs-Papst «Die neunte Stunde» von Maurizio Cattelan versteigert wurde. Da gibt es immer wieder diese fast religiöse Ruhe, die einkehrt, wenn die Millionengrenze überschritten wird. Die Wertschätzung, sie läuft in unserer Gesellschaft nun halt einmal übers Geld.


Sie gelten Ihres unprätentiösen Auftritts wegen als durch und durch angenehme Zeitgenossin.
Ich versuche, nicht als Ekel durchs Leben zu gehen. Warum sollte ich? Die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, verhalten sich mir gegenüber auch korrekt. Wenn ich Schlampigkeiten und Ungerechtigkeiten begegne, kann ich das aber schon sagen. Ich bin nicht harmoniesüchtig, und so allseits beliebt bin ich auch nicht, wenn ich an die Verschwörungstheorien denke, die von Aussenstehenden um uns Vertreter der Kunstwelt gesponnen werden.


Verschwörungstheorien?
Ich meine diese Rede von der Kunst-Mafia. Die ist total langweilig. Klar, bin ich gut vernetzt. Doch darin eine kriminelle Handlung zu sehen, wirft eher ein dumpfes Licht auf diejenigen, die mit einer solchen Wahrnehmung durch die Welt gehen. Ich mache ja nichts anderes, als mich seit Jahrzehnten möglichst verantwortungsvoll mit den künstlerischen Äusserungen unserer Zeit zu beschäftigen. Bis zu einem gewissen Grad ist es natürlich verständlich, dass Menschen, die sich nicht vorstellen können, warum dieses eine Kunstwerk besser sein soll als ein anderes, alle Erfolge auf unlautere Machenschaften zurückführen.


Obwohl Sie sich häufig und locker auf dem öffentlichen Parkett bewegen, ist praktisch nichts aus Ihrem Privatleben bekannt. Ist das beabsichtigt?
Durchaus. Als Kuratorin des Zürcher Kunsthauses muss ich an vielen Vernissagen teilnehmen. Als Krebs- Sternzeichen bin ich aber häuslich veranlagt. Ich empfinde kein Bedürfnis, öffentliche Bekenntnisse zu meinem Privatleben abzugeben. Und abgesehen davon: Mein Privatleben ist durch mein berufliches Engagement sehr eingeschränkt.


Eine Klatschspalte wählte Sie unter die dreissig begehrtesten Singlefrauen.
Stimmt, worauf mich empört Seidenfabrikant Andy Stutz anrief, den ich seit dreissig Jahren kenne. Er fragte bestürzt, ob wir denn nicht mehr liiert seien.


ENDE INTERVIEW

 

Bice Curiger, 58, hat Kunstgeschichte studiert und während zehn Jahren als Kunstkritikerin gearbeitet. 1984 gehörte sie zu den Mitbegründern der in Zürich und New York erscheinenden Kunstzeitschrift «Parkett», die international grossen Einfluss geniesst. Seit über fünfzehn Jahren arbeitet Bice Curiger als freie Kuratorin, regelmässig auch für das Zürcher Kunsthaus, für das sie unter anderen die viel beachteten Ausstellungen zur Gegenwartskunst wie «Endstation Sehnsucht» und «Birth of the Cool» realisierte. Gegenwärtig bereitet sie die Ausstellung «The Expanded Eye. Das Sehen, entgrenzt und verflüssigt» vor, die am 15. Juni im Kunsthaus Zürich eröffnet wird.