PUBLIKATION

Kundenmagazin Lyreco

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2016

MILLIARDEN VON MAILS

 

Klingt paradox, Studien aber zeigen: Die E-Mail-Flut im Büro hält uns vom Arbeiten ab.

 

Es ist der helle Wahnsinn. Mitten im wichtigen Festnetzgespräch klingelt ein Handy. Kollege A macht sofort auf Multitasking: «Oh, Entschuldigung, nur einen Moment bitte! Ich bin gerade auf dem Festnetz, kann ich zurückrufen? Ach so, worum geht’s denn?» Kollegin B, wartend am anderen Draht, checkt in der Zwischenzeit ihre SMS und beantwortet die zwei eiligsten, während Kollege A dem Störenfried am Handy nochmals klar zu machen versucht: «Moment mal – ja, guten Tag, aber ich bin, wie gesagt, leider gerade auf der anderen Leitung besetzt, ich melde mich nachher.». Schön wär’s! Kollege A denkt nicht dran und checkt zuerst die E-Mails, die während der beiden Telefonate mit dem Hinweis «Wichtigkeit hoch» im elektronischen Postfach gelandet sind. Wo waren wir also stehen geblieben?

 

Vor ein paar Jahren wäre eine solche Szene als übertriebener Slapstick abgetan worden. Inzwischen sind Situationen wie diese der Normalfall. Wir kennen sie: E-Mails checken, Anrufe entgegen nehmen, Whatsapp-Nachrichten quittieren, Onlinenews reinziehen, E-Mails beantworten, forwarden. Alles «nur schnell» und rasch zwischendurch und dann das Ganze wieder von vorn. Nie gab es so viele Unterbrechungen am Arbeitsplatz wie heute, eine logische Folge der Vernetzung durch Internet und Mobilfunk. Seit alle allen jederzeit etwas mitteilen können, tun sie es auch. Bloss einen einzigen Arbeitskollegen beim E-Mail lediglich auf der Stufe «CC» informieren? Das reicht nicht! Das ganze zehnköpfige Team muss auf dem Laufenden gehalten werden. Auch die Option «allen antworten» sorgt für Multiplikationen, die nicht mehr enden wollen mit dem Effekt, dass wir Nachrichten erhalten, die uns nicht oder eigentlich nur am Rande tangieren.

 

In der Geschäftswelt ist E-Mail mit Abstand das am meisten genutzte Kommunikationsmittel. Überraschend ist dieser Befund der US-Marktforscherin Radicati Group zwar nicht. Doch die neusten Zahlen des «Email Statistics Report 2014-2018» sind schon beeindruckend. Im letzten Jahr gab es weltweit 2,5 Milliarden Mailnutzer. Diese haben am Arbeitsplatz insgesamt 108,7 Milliarden E-Mails verschickt – pro Tag! Und diese Zahl wird laut Radicati in den nächsten drei Jahren auf 139,4 Milliarden E-Mails pro Tag steigen. Die Mailflut absorbiert also heute einen beträchtlichen Teil unserer Arbeitszeit. Forscher schätzen den Anteil auf einen Viertel, wobei dies je nach Funktion und Branche stark schwankt. Laut Radicati erhalten Arbeitnehmende pro Tag durchschnittlich 85 E-Mails. Geht man davon aus, dass 10 Sekunden benötigt werden, um eine E-Mail zu überfliegen, zu lesen, zu löschen, zu archivieren oder weiterzuleiten, dann hält uns die elektronische Post bereits über sieben Stunden auf Trab. Wohlgemerkt: Geschrieben oder beantwortet sind bei diesem Aufwand noch keine E-Mails. Es geht nur ums Sichten und Sortieren.

 

«Einspruch!», könnte man rufen und anfügen, dass doch das E-Mail-Management auch Bestandteil der Arbeit und somit also nicht verlorene Zeit sei. Richtig! Doch das Problem sind die ständigen Unterbrechungen, denen wir ausgesetzt sind. Ohne schlaues E-Mail-Handling leiden Effizienz und Produktivität enorm. Wer sich am Feierabend fragt, worum er wohl wieder einmal nicht sein vorgenommenes Tagesziel erreicht hat, ist gut beraten, seine E-Mail-Praxis einer kritischen Prüfung zu unterziehen und wird feststellen: In der Tat: Die Momente, wo wir uns mal eine halbe Stunde am Stück, also ununterbrochen, einer einzigen Sache widmen, sind rar.

 

Empfehlungen zur Optimierung des geschäftlichen E-Mail-Verkehrs gibt es viele. Eine der am häufigsten genannten betrifft den Zeitplan der E-Mail-Bearbeitung. Experten empfehlen, das Postfach regelmässig zu bearbeiten, aber nicht permanent. Meldet sich das E-Mail-Programm bei Eingang einer neuen Nachricht akustisch und mit einem aufpoppenden Banner, ist die Gefahr der Ablenkung gross und Zerstreuung garantiert: Man klickt "nur schnell" einen Link an – und schon ist man mit den Gedanken wieder anderswo.

 

Bewährt hat sich die Strategie vieler Experten, E-Mails nur in reservierten Zeitfenstern zu bearbeiten, dafür konzentriert. Dazwischen hat man Blockzeiten, in denen das Programm am besten geschlossen wird. Diesbezüglich gibt es allerdings ein Effizienzdilemma. Oft ist die schnelle Reaktion auf ein E-Mail für den Absender wichtig, wenn etwa mehrere Leute eines Teams von der Antwort betroffen und blockiert sind, wenn Funkstille herrscht. Ein Patent-Rezept, wie man den Fluch der Unterbrechung besiegen kann, gibt es also nicht. Aber sicher ist: Es braucht unglaublich viel Disziplin, um diesem wissenschaftlich erkannten Grundübel der modernen Welt Herr zu werden.