PUBLIKATION

Publikation Auf in den Süden

ZUSAMMENARBEIT

Christine Suter (Gestaltung)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

8.5.2016

AUFBRUCH ZUM ABBRUCH

 

Die Gotthardlinie und eine ehemalige Elektrozähler-Fabrik, eine ominöse Umbettschleuse, ein skurriles Keramikkunstwerk und ein Bundesgerichtsentscheid wegen Keimgefahr. Das Areal des alten Kantonsspitals steckt voller Überraschungen. Auf Entdeckungsreise mit Georg Frey.

 

Herr Frey, wir stehen auf der Dachterrasse des elfgeschossigen, ehemaligen Personalhauses des Kantonsspitals Zug. Hinter uns liegt der See, vor uns das Quartier Zug Süd. Welche Bauten sehen wir?

Georg Frey: Aus dem Mittelalter sehen wir die Altstadt mit ihren Befestigungs- und Kirchtürmen, den Pulver-, Kapuziner- und Huwylerturm, und mitten in der Stadt die Kirche St. Oswald. Bis zur Vollendung der Stadtbefestigung vor 500 Jahren gab es südlich der Stadt kaum Bauten. Zu den ersten gehörten die Kapelle und das Beinhaus St. Michael, der Zurlaubenhof und am Oberwiler Kirchweg die Beatuskapelle und das Tschuopishaus. Im 19. Jahrhundert ging es dann südlich der Altstadt plötzlich Schlag auf Schlag. 1827 baute man die Strasse nach Arth und 30 Jahre später die Kranken- und Pfrundanstalt, das spätere Bürgerspital. Dann folgten die Knabenschule Athene und das Institut St. Michael, und 1878 wurde mit dem Theilerhaus der Grundstein der späteren Landis&Gyr gelegt. Kurz darauf entstanden die ersten Villen am Oberwiler Kirchweg und die Pfarrkirche St. Michael. Erst kurz vor bzw. nach 1900 wurden die Gleise für die Gotthard-Bahn und das Zugerberg-Tram verlegt.

 

Mit anderen Worten: Wir befinden uns in einer äusserst geschichtsträchtigen Gegend.

Ja, südlich der Stadt hatten kirchliche Bauten seit dem Mittelalter Tradition und im 19. Jahrhundert wurde das Quartier innerhalb von 40 Jahren zum Spital-, Schul- und Fabrikstandort. Private Wohnhäuser im grösseren Umfang entstanden erst im 20. Jahrhundert. Es sind Bauten am Lebensweg, in denen geboren, gelernt, gearbeitet, gewohnt, gepflegt, geheilt, gebetet und gestorben wurde. Und was für Zuger Verhältnisse schon fast unglaublich ist: fast alle erwähnten Bauten sind noch da.

 

Der Spitalbetrieb wurde nach Baar verlegt, und nun sind auf dem Areal des ehemaligen Kantonsspitals gemäss Plänen von Stadt und Kanton Abbrüche vorgesehen. Wie ist einst entstanden, was jetzt abgebrochen werden soll?

Das Bürgerspital war der erste öffentliche Bau in Zug Süd. Ursprünglich gab es ein Siechenhaus im Norden und von 1511 bis 1857 das Burgbachspital in der Stadt. Spitäler waren nicht primär Krankenhäuser, sondern Altersheime sowie Fürsorgeeinrichtungen für Arme, Waisen, Bettler, mittellose Schwangere und Kranke. Dass die Kranken- und Pfrundanstalt 1857 ausserhalb der Stadt gebaut wurde, entspricht zwar der Tradition, das Spital sozusagen auszulagern. Aber im 19. Jahrhundert gaben wohl die Besitzverhältnisse und das unbebaute Land den Ausschlag, hier den Spitalbau zu erstellen.

 

Dieser erste Spitalbau wurde später erweitert und umgebaut. Gleichwohl ist er im Nordtrakt der heutigen Anlage entlang der Artherstrasse bis heute erkennbar.

Aus der Vogelperspektive lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Dachmaterialen, Schnittstellen und Übergänge unschwer erkennen, wo das Ursprungsspital steht. Es handelte sich um ein stattliches Gebäude mit Mittelbau und zwei Seitenflügeln, dem Schulhaus Athene ähnlich ganz im Stil des damals populären Klassizismus. Von oben ist sogar noch das kleine Glockentürmchen der ehemaligen Spitalkapelle sichtbar. Die Glocke ist schon entfernt, und bald wird wohl auch der Kapelle letztes Stündchen schlagen.

 

Ein Bau erzählt immer etwas über die Lebenswelt jener Epoche, in der er entstanden ist. Inwiefern gilt dies für den Komplex Kantonsspital?

An Spitalbauten lassen sich der gesellschaftliche Wandel und der medizinische Fortschritt sehr gut ablesen. Das Bürgerspital von 1857 war ein herrschaftliches Gebäude am See, das, wie erwähnt, vorwiegend als Altersheim diente. Anfang des 20. Jahrhunderts mutierten auch kleine Spitäler zu Orten der medizinischen Wissenschaft. Diagnostik, Therapie, Krankenpflege, Rehabilitation und Lebensqualität wurden immer wichtiger. In der 1910 eröffneten Wöchnerinnenstube zum Beispiel wurde nicht zwischen ehelichen und unehelichen Kindern unterschieden, was sehr fortschrittlich und auch aus heutiger Sicht sympathisch war. Mit den veränderten Nutzungsansprüchen veränderte sich auch die Architektur. Sie wurde funktionaler.

 

Im Jahre 1934 erweiterten die Zuger ihr Bürgerspital und realisierten einen Anbau. Diese Erweiterung sollte als eines der modernsten Spitäler der Schweiz in die Geschichte eingehen.

Es ist der so genannte Südflügel, der mit dem historischen Nordtrakt verbunden ist und heute im Inventar der schützenswerten Denkmäler des Kantons aufgeführt ist. Damit die Patienten optimal von der Sonne profitieren konnten, richtete man die Hauptfassade gegen Südwesten aus. Diese Ausrichtung unterscheidet sich grundlegend von der Positionierung der historischen Bauten und läuft der Topographie mit Hanglage zuwider. Der Südflügel steht völlig quer in der Landschaft. Das alte Bürgerspital und mit ihm alle Bauten des 19. Jahrhunderts wurden auf den See ausgerichtet. Die Architektur des 1937 vollendeten Spitals war mit seiner Erscheinung und Funktionalität modern. Ein Artikel von damals bringt dies treffend zum Ausdruck.

 

Mein Begleiter präsentiert den Zuger Kalender von 1939 und liest vor: „Durch die tüchtige Hand und das Können des Chefarztes fliesst von hier (der chirurgischen Abteilung) der Strom der Genesung in die Körper der Patienten, um sie zu heilen und die ihnen nötige Behandlung angedeihen zu lassen.“

 

Der moderne Südflügel wurde von den damaligen Zuger Stararchitekten Dagobert Keiser und Richard Bracher gebaut. Waren sie ihrer Zeit voraus?

In Zug waren sie offensichtlich der Zeit voraus. Und im nationalen und internationalen Kontext gelang ihnen mit dem Zuger Spitalbau der Anschluss an die Avantgarde, der sogenannten Moderne. Keine zwanzig Jahre zuvor realisierten Keiser & Bracher in unmittelbarer Nachbarschaft des Spitals die Casa Rossa, ein toskanisch anmutendes Landhaus. Dass diese stilistisch komplett unterschiedlichen Bauten nun in unmittelbarer Nachbarschaft stehen, ist wirklich frappant und darum so interessant, weil ersichtlich wird, wie sich der Zeitgeist veränderte.

 

Stimmt es, dass in der Nähe des Bahngleises ein so genanntes Absonderungshaus stand, das sogar das Bundesgericht beschäftigte?

Ja, da, wo in den späten 1970er-Jahren der voluminöse Behandlungstrakt mit Operationsräumen und Notfallaufnahme zu stehen kam, baute man 1878 ein Absonderungshaus. Darin lagen Patienten mit ansteckenden Krankheiten. Mit der Eröffnung der Gotthardlinie 1899 wurde dieses Gebäude dann plötzlich zum grossen Thema. Man fürchtete, dass Passagiere, die in offenen Bahnwagen am Absonderungshaus vorbeifahren, mit gefährlichen Keimen angesteckt werden könnten. Die Bahngesellschaft setzte sich also gegen Keime des Zuger Spitals zur Wehr und rief sogar das Bundesgericht an. Dieses entschied, dass das Absonderungshaus wegen Gefährdung der Passagiere geschlossen werden müsse.

 

Hanns A. Brütsch, der 1964–1967 das 35 Meter hohe Personalhochhaus baute, gehörte auch zu den führenden Architekten in Zug.

Und dies absolut zu Recht! Man schaue sich nur die differenziert komponierte Fassade und die strukturierte Raumaufteilung an. Der Grundriss in den elf Geschossen ist klar und übersichtlich gegliedert. Es gibt, wie bei einem Sandwich, einen zentralen Kern mit Treppenhaus, Lift, Nebenräumen und Korridor. Gegen aussen Richtung Berg und See sind die Zimmer angeordnet, die das Ganze wie Brotscheiben zusammenfassen. Egal, in welchem Raum man sich befindet; man hat immer eine gute Orientierung nach innen und nach aussen. Das Personalhaus befand sich mit seiner Höhe übrigens in guter Gesellschaft. Denn in den 1960er-Jahren entstanden mit den „Tobleroneblöcken“ in Oberwil und dem Alpenblick in Cham ähnlich hohe Wohnbauten.

 

Mit dem Lift fahren wir ins Untergeschoss des Personalhauses und erreichen durch einen Gang den Keller des Nordtrakts. Dort gelangen wir durch eine grosse, schwere Metalltür ins Freie auf die Wiese an der Artherstrasse. Überwuchert mit Unkraut findet sich dort der leicht ramponierte Helikopter-Landeplatz, dessen weiss-rot bemalte Bodenplatten auch schon bessere Zeiten erlebt haben. Othmar Meier, langjähriger Spitalhauswart und Mitglied der Betriebsfeuerwehr, führt uns mit seinem Passepartout durchs Gelände und verschafft uns Zugang zu verschlossenen oder verwaisten Räumen. Der Standort des Landeplatzes, erinnert sich Meier, sei betrieblich nicht optimal gelegen gewesen, weil die angeflogenen Patienten nur über Umwege in den Behandlungstrakt gelangten. Überhaupt habe im Untergrund des Spitals reger Betrieb geherrscht. Diskret rollten Betten zwischen Operationssaal, Krankenzimmern und Leichenhalle hin und her. Beim Vorplatz der ehemaligen Personalkantine bleiben wir stehen und betrachten den Südflügel von aussen.

 

Auffallend am architektonisch prägnanten Südflügel ist der nicht sehr schöne, nachträglich angebrachte Aufbau mit einer Verkleidung aus Holz und Well-Eternit. Was ist hier schiefgelaufen?

Dieser Aufbau ist tatsächlich artfremd. Ursprünglich diente das Dach des Südflügels als Bettenterrasse. Der im Norden überdachte Teil beherbergte Treppenhaus und Nebenräume und schützte die gegen Süden offene Terrasse vor Wind. Die Patienten wurden in ihren Betten hierher geschoben, konnten Sonne tankend genesen und die wunderbare Aussicht auf See und Berge geniessen. Durch den späteren Aufbau ging die Dachterrasse grösstenteils verloren. Noch bis Mitte der 1990er-Jahre wohnten hier Menzinger Schwestern in den kleinen, äusserst bescheidenen Zimmern. Die ausdrucksstarken Geschossterrassen an der Hangseite sind aber immer noch im ursprünglichen Zustand erhalten und erinnern an die Decks eines Ozeandampfers.

 

Beim Zirkulieren im schmalen Flur des Dachaufbaus werfen wir einen Blick in die ehemaligen Schwesternzimmer. Dünne Wände trennen die bescheidenen Bleiben voneinander. Gelb-grüne Vorhängchen und mit Stoff bezogene Hängelampen, die teils noch mit Glühbirnen bestückt sind, zeugen von der Einfachheit des schwesterlichen Spitallebens. Die gleichen Zimmer wurden nach dem Auszug der Schwestern von den Chirurgen als Archivräume benutzt. „Diese Toilette ist keine Telefonkabine“ gebietet ein Hinweisschild auf einer blauen Tür. Im Innern steht eine weisse Kloschüssel, deren hochhängender Spülkasten durch das Ziehen einer langen Kette aktiviert wird, und der, wie wir feststellen, prompt noch funktioniert. Von der Witterung gezeichnete Rollladen, deren Farbanstrich vom Holz blättert, lassen sich mit dem Stoffriemen nur schwer in Bewegung setzen.

 

Vom Dach des Südflügels aus blicken wir auf eine eigenwillige, natürlich gewachsene Parklandschaft und Gartenbeete, die früher Bestandteil der Spitalgärtnerei waren. In der Mitte des Parks behauptet sich ein knorriger Ahorn mit ausladender Krone. Im Parkrasen sind die massiven Eisendeckel der mittlerweile stillgelegten Öltanks sichtbar. Richtung Bahngleis ragt der Kamin der Energiezentrale als roter Turm in die Höhe. Entlang des Seeufers tuckert im Schritttempo das kleine Fischerboot von Emil Speck. Vogelgezwitscher vermischt sich mit dem entfernten Brummen eines Flugzeugs, das eine weisse Linie in den Himmel zieht.

 

Weiter geht es in die ehemalige Personalkantine, einen grosszügig befensterten Saal mit Holzdecke und Klötzliparkett, der den Geist der 1960er-Jahre atmet und heute vom Türkischen Verein genutzt wird. Die mit Chromstahl abgedeckte Theke der ehemaligen Essensausgabe scheint nach wie vor ihrem Zweck zu dienen, wie Geschirr und Besteckkisten, Kaffeemaschine und Herdplatten vermuten lassen. Nur der Fernseher mit übergrossem Flachbildschirm, die zweistöckige Stereoanlage und die Wasserpfeife sind Indizien, die unmissverständlich auf die Freizeitvorlieben der aktuellen Zwischennutzer schliessen lassen. Sie haben sich mit ihrem reichhaltigen, orientalisch inspirierten Sonntagsbrunch einen Namen gemacht; auch bei Zugern „ohne Migrationshintergrund“.

 

Ganz in der Nähe, im oberen Stockwerk des ursprünglichen Bürgerspitals, befindet sich die ehemalige Spitalkapelle, die der Künstler Fritz Pauli mit sechs Szenen aus der Leidensgeschichte Christi ausgemalt hat. Der Altar steht noch, Tabernakel und Sitzbänke wurden jedoch entfernt. Die Sakristei mit integriertem Beichtstuhl hat Staub angesetzt und die liturgischen Gerätschaften sind verschwunden. Durch die etwas ausgebleichten Farbfenster dringen Sonnenstrahlen und erhellen den kühl-kahlen Raum für einen kurzen Moment fast freundlich.

 

Der Entwurf des aktuellen Bebauungsplans sieht vor, dass der Südflügel und das Hochhaus stehen bleiben. Ein guter Entscheid?

Dass der baugeschichtliche und architektonische Wert der beiden Bauten respektiert wird, ist aus denkmalpflegerischer Sicht erfreulich. Betrachtete man aber das Areal als Ganzes, ist diese Sichtweise zu eng. Bei allen anderen Bauten ist deren Abbruch vorgesehen, weil ihnen als Zeitzeugen keine Bedeutung zugemessen und nur das Land als wertvoll betrachtet wird. Die Geschichte hat aber nicht Bauland hinterlassen, sondern Bauten! Und die kann man brauchen. Es gibt zwei grundsätzlich verschiede Ansätze, mit einem Areal wie dem des ehemaligen Kantonsspitals umzugehen. Der heute übliche Ansatz hat den wertvollen Boden und dementsprechend eine hohe Ausnützung und Rendite im Blick. Der andere Ansatz ist, sich nicht vom Bauertrag des Bodens, sondern von den Möglichkeiten der bestehenden Bauten anregen zu lassen. Die zentrale Frage lautet dann: Wie wenig muss getan werden, um das Potential des Bestehenden optimal zu nutzen? Beim ehemaligen Personalhochhaus ist das kantonale Hochbauamt genauso vorgegangen und hat es mit sparsamen Mitteln zum Bürohaus umgebaut. Genau gleich könnte man mit dem gesamten Areal umgehen. Sogar Bauten ohne vordergründig ästhetische Qualitäten sind aus meiner Sicht kein Ärgernis, sondern ein Geschenk, mit dem man etwas anfangen kann.

 

Die aktuellen Zwischennutzungen zeigen, wie diese Bauten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nützlich sind. Was sagen Sie zum Nutzungsmix?

Das Areal bringt die unterschiedlichsten Leute zusammen: Schulpflichte Jugendliche und kreative Kinder, Kunstschaffende und Flüchtlinge, Personal von öffentlichen und privaten Institutionen. Der Türkische und der Serbische Verein haben hier ihren Treffpunkt, Teile der Kantonsarchäologie und andere Verwaltungsstellen haben hier einen Arbeitsplatz gefunden. Und die Notzimmer der Stadt dienen Leuten, die sonst kein Dach über dem Kopf hätten, als vorübergehende Unterkunft. Dieser viel gelobte Mix, der andernorts mit aufwendigen Konzepten herbeigeschrieben und kaum je erreicht wird, ist hier ungeplant und wie von selbst entstanden. Ich sage nicht, dass die aktuelle Situation auf immer und ewig so bleiben muss und dass es immer nur Kulturtätige und Institutionen mit bescheidenen finanziellen Mitteln sind, die von günstigen Altbauten profitieren sollen. Aber ich bin sicher, dass es für jeden einzelnen Trakt oder Bau dieses Areals eine Verwendung geben könnte, wenn man nur die Augen öffnet und sich ernsthaft überlegen würde, wofür sich die Objekte anbieten. Ich würde mir wünschen, dass man weg kommt, in sich ausschliessenden Alternativen zu denken, die darauf hinauslaufen, einen Bau entweder abzureissen oder denkmalpflegerisch aufwendig zu restaurieren. Nicht politische Entscheide oder kunsthistorische Analysen machen einen Bau zum kulturellen Erbe, sondern das erkennende Betrachten und Erleben der Gesellschaft.

 

Die letzte Etappe unseres Rundgangs führt uns in den Behandlungstrakt. Er wurde in den späten 1970er-Jahren gebaut. Es ist ein schmuckloser Zweckbau mit wenig Fenstern. Menschenleer präsentiert sich der ehemalige Empfangsschalter. Unmittelbar daneben sticht ein üppiges Keramik-Kunstwerk ins Auge, das sich den Wänden empor übers Eck erstreckt und wohl einst als Referenz an „Kunst am Bau“ realisiert wurde. Das Entstehungsjahr 1981 – von Hand in den Ton gepresst – lässt sich entziffern, den Namen der Künstlerin – der Stil lässt eine weibliche Person vermuten – ist nicht eruierbar. Auch ein Titel muss das fulminant-farbige, etwas gewöhnungsbedürfte Kunstwerk tragen. Wie wär‘s mit „Der Lauf des Lebens?“

 

Der ehemalige Behandlungstrakt ist stillgelegt. Die Heizung läuft nicht mehr, es ist kalt und ziemlich dunkel. Die Stimmung ist ungemütlich, ein wenig beängstigend. Sollen wir rein?

Auf jeden Fall. Denn nun stossen wir in den Kern der ehemaligen Spitalanlage vor. Hier befanden sich der Empfang und die Notaufnahme. Im Untergeschoss waren die Leichenhalle, der Obduktionssaal und das Labor und in den oberen Geschossen die Operationsabteilung und die Intensivpflegestation untergebracht. Beschriftung und Schilder zeugen noch immer davon. Und mit ein wenig Phantasie kann man sich durchaus vorstellen, wie hier früher Ärzte und Krankenschwestern in weissen Kitteln durch die Flure eilten. Hier befindet sich auch die so genannte Umbettschleuse; allein der Begriff hat etwas Skurriles. Durch diese zirka zwei Meter breite Fensteröffnung wurden die Patienten vom „unreinen“ Korridor in den „reinen“ Bereich des Operationstrakts geschoben. Dem Hinweisschild ist zu entnehmen, dass bei diesem Prozedere „die Infusionsflaschen entfernt und bei langen Patienten die Kniekehlen mit einem Polsterteil unterlegt“ werden müssen. Rein ästhetisch ist der Behandlungstrakt kein Wurf. Er ist zweckdienlich und weist als typisches Bauwerk seiner Zeit wohl eine schlechte Energiebilanz auf. Aber auch dieser Bau hat seinen Reiz und bietet sich für Nutzungen, welche die Abschottung brauchen, geradezu ideal an. Und das grosszügige Erschliessungssystem kann für entsprechende Betriebe attraktiv sein.

 

Im Eingangsbereich des neuen Nordtrakts soll sich ein grosses Wandbild von Hans Potthof befinden. Existiert es noch und ist es zugänglich?

Es schmückte die Eingangshalle des Spitals. Von dieser Halle wurde vor kurzem ein Besprechungszimmer abgetrennt. Dort füllt das 270 auf 720 Zentimeter grosse Bild jetzt eine ganze Wand. Bei der Einweihung 1969 erklärte Potthof, was er mit dem Gemälde ausdrücken wolle: „Stark abstrahierte Pflanzen- und Blumenformen führen in eine keimende, blühende und früchtetragende Welt, in welcher Mensch und Tier im friedlichen Nebeneinander sich all ihrer Schönheiten erfreuen.“ Das Wandbild trägt den Namen „Kraft und Lebensfreude“.

 

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Georg Frey, 66, ist Architekt und war von 2001 bis Mai 2013 kantonaler Denkmalpfleger von  Zug. Vorher übte er die gleiche Funktion in Appenzell Ausserrhoden aus.

 

Sabine Windlin, 43, arbeitet als freie Journalistin und Texterin in Zug. Ihr Büro befindet sich im ehemaligen Labor der Fettfabrik Orris in der denkmalgeschützten Untermüli.