PUBLIKATION

Personalzeitung Kanton Zug

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

5.1.2014

DIREKTER DRAHT

 

Die kantonale Fachstelle «punkto» ist da, wenn junge Eltern Rat brauchen oder Jugendliche zu Hause nicht mehr klarkommen. Unterwegs mit Mütterberaterin Simone Kalt und Sozialpädagoge Patrik Litscher.

 

Die frischgebackene Mutter hat kaum das Zimmer betreten und ihr acht Wochen altes Baby aus dem Kinderwagen geholt, schon legt sie los: die Kleine schreie die ganze Zeit, schlafe extrem wenig und gönne ihr keine ruhige Minute. Ob das Baby zu wenig trinke oder zur falschen Zeit, vielleicht im falschen Rhythmus? Alles, wirklich alles, hätten sie und ihr Mann ausprobiert, damit das Geschrei endlich ein Ende nehme: frische Luft, wärmere Kleider, längere Spaziergänge, Musik und Gesang. Sie frage sich, ob ihr Töchterchen mit der Nahrung aus Muttermilch und Milchpulver überhaupt satt werde, zumal es sich nach dem Trinken häufig übergebe.


Mütterberaterin Simone Kalt, 48, hört aufmerksam zu, macht sich Notizen und klickt in das Dossier, das sie über die junge Familie im Laptop gespeichert hat. Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, dass die Mutter alles richtig macht, das Baby genügend an Gewicht zulegt, aber wohl schlicht und einfach noch mehr herumgetragen werden möchte: «Babys lieben und brauchen den Körperkontakt. Probieren Sie es mit einem Tragetuch!», schlägt Simone Kalt vor. Das Zubereiten des Milchschoppens mit Fencheltee sei hilfreich, Koliken zu verhindern und die Einnahme der Bockshornklee-Tabletten zur Förderung der Milchproduktion werde die Situation auch positiv beeinflussen. Die Kindsmutter atmet tief durch, wiegt zuversichtlich ihr Baby im Arm. Sie ist die erste Kundin in der Elternberatung, die diesen Nachmittag im Steinhauser Zentrum Chilematt zwischen 13 Uhr und 17 Uhr stattfindet; aber noch lange nicht die letzte.


Im 30-Minuten-Takt werden weitere Mütter und Väter empfangen, die das Angebot der Fachstelle punkto nutzen und Beraterin Kalt jeweils mit Dutzenden von Fragen konfrontieren, die eine Elternschaft mit sich bringt: über das Stillen und Abstillen, die Umstellung auf Milchpulver und Brei oder die Linderung von Bauchkrämpfen. Kinderkrankheiten, Allergien und Impfungen sowie die richtige  Schlafposition und die Risiken des plötzlichen Kindstodes sind weitere Themen, die zur Sprache kommen. Während gesundheits- und ernährungsspezifische Fragen im Säuglingsalter im Zentrum stehen, sind es im Kleinkindalter vor allem Erziehungsthemen wie Eifersucht unter Geschwistern, Aushalten von Trotzphasen, Umgang mit Bettnässen, Eingewöhnen in Kitas oder die Mühe vieler Eltern mit einer konsequenten Haltung. Stichwort: ein Nein ist ein Nein. «Manche Probleme», so die Erfahrung von Simone Kalt, «verlagern sich durch eine angespannte Situation mit Babys und Kindern in die Partnerschaft oder umgekehrt.»


Bei weitem nicht alle Eltern, die in die Beratung kommen, seien jedoch ratlos oder verzweifelt. Viele möchten sich bei Simone Kalt auch einfach vergewissern, ob ihr Baby genügend an Gewicht und Zentimetern zulegt oder möchten einen Tipp, wie der Übergang vom Mutterschaftsurlaub in den Berufsalltag «stilltechnisch» am besten angegangen werden kann und wie die Situation für stillende Arbeitnehmerinnen rechtlich geregelt ist. Manche Eltern erscheinen regelmässig in der Beratung, andere nur ein einziges Mal. Das Angebot ist kostenlos und versteht sich als Ergänzung zu den regulären Kontrollen beim Kinderarzt. Auch Eltern mit einem behinderten Kind sind willkommen.


Simone Kalt, die nebst Steinhausen auch die Gemeinde Risch betreut und Hausbesuche während des Wochenbetts durchführt, hat praktisch immer einen handfesten Ratschlag parat. Doch auch nur schon aufmunterte Worte können Wunder wirken; vor allem bei Erstgebärenden, oder Frauen, die keine Grosseltern in der Nähe wissen, nur einen kleinen Freundeskreis haben oder vom Mann kaum Unterstützung erhalten. Als vierfache Mutter, langjährige Kinderkrankenschwester und baldige Absolventin eines berufsbegleitenden Nachdiplomstudiums ist sie für die vielseitige und anspruchsvolle 60-Prozent-Anstellung bei der Fachstellung qualifiziert und kann beurteilen, wann beispielsweise eine homöopathische oder osteopathische Konsultation angezeigt ist. Da sie zudem italienisch, englisch und französisch spricht, sind auch fremdsprachige Eltern bei ihr in guten Händen. Besucht sie arabisch sprechende Mütter im Asylzentrum Steinhausen, übersetzt ein Dolmetscher von der Caritas.


Rein theoretisch liessen sich viele Fragen zur Säuglingspflege und Kindererziehung durch Selbststudium der umfangreichen Ratgeberliteratur klären, die bekanntlich jeden nur denkbaren Aspekt der Elternschaft aufgreift. Auch in Internetforen und auf Ratgeberplattformen herrscht ein reger Austausch. «Doch ein persönliches Gespräch», ist Simone Kalt überzeugt, «ist oft effizienter und hilft mehr». Durch den direkten Kontakt mit den Eltern wird die Beraterin unter Umständen auf grössere und komplexere Probleme aufmerksam und kann Väter oder Mütter an spezifische Fachstellen weiterleiten. Dies ist der Fall, wenn etwa familiäre Gewalt im Spiel ist, jemand unter psychischen Problemen wie Depressionen leidet oder finanzielle Not durch Arbeitslosigkeit den Familienalltag belastet. Die empathische Art, mit der Simone Kalt auf die Eltern eingeht, ihr solides Fachwissen und ihre kompetente und gleichzeitig unkomplizierte Art müssen mit ein Grund sein, warum das Beratungsangebot so rege genutzt wird und die Eltern nach dem Gespräch den Raum immer mit einem positiven Gefühl verlassen.


Dem Säuglingsalter längst entwachsen ist die Kundschaft von Patrik Litscher, 48. Auch er ist ein Mitarbeiter der Fachstelle punkto, die ihr Büro am Bahnhof Baar hat. Litscher ist verantwortlich für den Betrieb und die Vermietung von fünf Wohnungen im Kanton Zug, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 23 Jahren ein vorübergehendes Zuhause bieten, falls sie aus einem triftigen Grund nicht mehr bei den Eltern wohnen können. Die üblichen «Lämpen», die mit der Adoleszenz einhergehen, einfach nur ein wenig Zoff wegen divergierenden Vorstellungen von Sauberkeit, Ordnung, Ausgang und Gamen reichen aber nicht aus, um als Kandidat ausgewählt zu werden, wie Litscher betont. Ist hingegen die Ausbildung bzw. das Studium durch eine innerfamiliäre Krise ernsthaft in Gefahr, haben die Eltern ein ernsthaftes Suchtproblem oder ist die Kommunikation zwischen Eltern und Jugendlichen kaum mehr möglich, sind das Argumente, die aus Sicht des Sozialpädagogen für einen Platz in der WG sprechen. Vorausgesetzt, ein Platz ist frei.


Die momentan 19 zur Verfügung stehenden Plätze sind nämlich beliebt und konstant ausgebucht: Nicht nur, weil die Wohnungen gut gelegen und vernünftig ausgestattet, sondern auch, weil sie bezahlbar sind. Im Oberwiler Fuchsloch, wo in der 5-Zimmer-Wohnung vier Jugendliche einquartiert sind, kostet die Miete inklusive Nebenkosten 500 Franken pro Person. «Das ist okay», findet Alain, 19, der mit den drei Wohngenossinnen und dem -genossen gut klar kommt. Patrik Litscher ist heute zu einer WG-Sitzung da, wird herzlich empfangen, setzt sich zur Gruppe in die Sofaecke und macht ein Update: Der defekte Rollladen ist wieder geflickt, die WG-Kasse noch immer im Plus und auch sonst möchte er der WG ein «Kränzchen winden». Als er neulich unangemeldet mit einem Handwerker rein musste – der Sozialpädagoge besitzt einen Schlüssel – habe er eine tadellos aufgeräumte Wohnung vorgefunden. «Weiter so!», lobt er die Wohngruppe.


Nicht immer präsentiert sich die Wohnsituation so vorbildlich. Mal gibt es Zoff und Ärger, mal herrscht Chaos, mal stimmt die Chemie nicht, weil Charaktere und Nationen gegenseitig inkompatibel sind. «Man darf nicht vergessen», so Litscher, «diese WG‘s sind eine Schicksalsgemeinschaft». Sprich: Wer mit wem zusammenwohnt, bestimmt die Fachstelle punkto. Sie sichtet die schriftlich eingegangen Bewerbungen, führt die Erstgespräche mit den Jugendlichen und achtet darauf, dass der Mix stimmt. Das Wohnangebot steht nicht allen offen: Nicht in Frage kommen Jugendliche, die straffällig oder drogenabhängig sind oder sonst einen zu schweren Problemrucksack mitschleppen. Kurz: Die Jugendlichen müssen im Alltag selbständig und zuverlässig funktionieren, sich in die Wohngruppe integrieren können und eine respektvollen Umgang haben. Im Idealfall stehen auch die Eltern hinter der WG-Lösung. Sind die Kinder noch nicht mündig, wird das elterliche Einverständnis für dieses Projekt von Gesetzes wegen vorausgesetzt.


Je nach Situation findet sich Litscher in unterschiedlichen Rollen wieder: Mal kommt er sich ein wenig wie ein Polizist vor, mal wie ein Hauswart, mal wie ein Ersatzpapi. Primär ist er aber das Bindeglied zwischen Jugendlichen, Eltern, Nachbarn, Ausbildungsstätte und Fachstelle. Intervenieren tut er nur, wenn die Gruppe alleine nicht mehr klarkommt und es «suboptimal» läuft. Dass es sich nicht lohnt, sich mit dem zwar umgänglichen aber auch konsequenten Sozialpädagogen anzulegen, merken Neulinge schnell: Wenn sich jemand nicht an die Regeln hält, gibt es maximal zwei Verwarnungen, beim dritten Vorfall folgt die Kündigung. Zudem muss sich jeder neue Bewohner in der dreimonatigen Probezeit bewähren. «Wir möchten nur Jugendliche, die begreifen, dass diese institutionelle Wohnform für sie eine Chance ist. Wer sie nicht zu nutzen weiss, soll den Platz einer anderen Person überlassen.» Immerhin gedulden sich auf der Warteliste bis zu 10 Personen.


Oft erfreulich verlaufen für «WG-Chef» Litscher die Begegnungen mit ehemaligen Bewohnern. So erinnert er sich etwa an Sara, damals 18, eine unreife, partyfreudige, mitunter kindische Frau, die nach ihrer Lehre als Verkäuferin keinen Job fand. Als er sie als 22-Jährige wieder traf, stand eine selbstbewusste, ausgeglichene Frau vor ihm, die über eine Festanstellung und eine eigene Wohnung verfügte und begriffen hat, dass das Leben noch mehr zu bieten hat als Zigaretten und Energy Drinks.


Oder Dominic, damals 18. Der Bewohner verhielt sich so asozial, dass ihm Litscher – auch aus Rücksicht auf die anderen Bewohner, denen der Geduldsfaden riss  – nach kurzer Zeit kündigte. Als er den unliebsamen WG-Bewohner neulich wieder traf, stand ihm ein gut gelaunter, reifer Mann gegenüber, der sich bei ihm bedankte. Das Beste, was ihm im Leben passiert sei, meinte der 21-Jährige, sei der Denkzettel, der ihm der Sozialpädagoge damals verpasst habe. «Dank dem Rausschmiss habe ich gelernt, dass ich mir nicht alles erlauben kann und mir selber Steine in den Weg lege, wenn ich immer und überall auf Konfrontation gehe.»

 

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Punkto - eine Fachstelle mit kantonalem Leistungsauftrag


Die Zuger Fachstelle punkto ist ein Kompetenzzentrum für Kinder-, Jugend- und Familienfragen mit zentralem Standort in Baar. Ihre Dienste erbringt sie im Auftrag des Kantons (Direktion des Innern) und der Zuger Gemeinden.
- Elternberatung. Das flächendeckende Angebot in den Gemeinden ist kostenlos und richtet sich an Eltern mit Kindern im Alter zwischen 0 und 5 Jahren. Eine telefonische Terminvereinbarung ist nötig. Auf Wunsch werden nach der Geburt auch Hausbesuche durchgeführt. Diese folgen im Anschluss an die von der Krankenkasse bezahlten Hebammenbesuche. Die telefonische Elternberatung findet jeden Morgen von 8 bis 12 Uhr statt (041 728 34 20). Punkto führt auch eigene Kurse in Babymassage und Elterncoaching durch.
- Jugendwohnungen: Das kantonale Angebot mit fünf Jugendwohnungen bietet 19 Plätze für 16- bis 23-Jährige, die noch in Ausbildung sind. Die Wohnungen befinden sich in Zug, Baar, Oberwil, Cham und Hünenberg. Die Vermietung der Dreier- und Fünfer-Wohngemeinschaften läuft über die Fachstelle, die auch die Bewohner aufgrund eines Bewerbungsgespräches und – falls nötig – weiteren Abklärungen auswählt. Ein Zimmer kostet zwischen 430 und 630 Franken inklusive Nebenkosten.  Die durchschnittliche Verweildauer beträgt 2,2 Jahre.
www.punkto-zug.ch