PUBLIKATION

Weltwoche

ZUSAMMENARBEIT

Hazan K. (Fotografie Familienalbum)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

15.4.2004

IM NAMEN DES VATERS

 

Im bernischen Niederscherli wird ein junges, verliebtes Paar türkischen Wertvorstellungen geopfert. Die Beteiligten nennen das Verbrechen einen Ehrenmord.

 

Das tödliche Liebesdrama lässt Erinnerungen an Shakespeares Romeo und Julia zu, doch die Geschichte, von dem hier die Rede ist, ereignete sich nicht im Verona der frühen Renaissance, sondern im bernischen Niederscherli, ein Dorf mit 2600 Einwohnern, das zur Gemeinde Köniz gehört. Dort lebten Zahide A. (21) und Süleyman K. (25) zusammen in einer Wohnung. An einem Frühlingsmorgen fand sie die Polizei. Rücken, Schenkel und Hände der Frau waren durchstochen. Brust, Beine und Arme des Mannes. Er verblutete in der Badewanne, sie auf einem Teppich; die Kehlen der beiden durchschnitten.

 

Der Doppelmord ereignete sich am 18. Mai 2001 und wurde nun, Anfang März 2004 vor dem Berner Kreisgericht verhandelt. Verantworten musste sich der 24jährige Bruder der jungen Frau, Sadik A. Er ist, im Gegensatz zu seinem in der Türkei weilenden Bruder, nicht geständig. Dennoch verurteilten ihn die Richter zu 20 Jahren Zuchthaus. Als Motiv für die Tat nannte die Familie das «Fehlverhalten» der Frau. Sie hätte, nach dem Willen ihres Vaters, ihren Cousin aus der südosttürkischen Heimatstadt Elbistan heiraten sollen.

 

Der «Ehrenmord» von Niederscherli liess gemäss Ausführungen der Rechtsmediziner an Grausamkeit nichts zu Wünschen übrig. Und doch steht er beispielhaft für ungezählte Verbrechen, denen Frauen im Ausland aber auch hierzulande zum Opfer fallen, wenn sie nicht parieren, sich den Weisungen der männlichen Familienmitglieder verweigern oder ganz generell der Kontrolle der Familie entgleiten. Laut UNO-Berichten werden jährlich über 5000 Frauen in mindestens dreizehn Ländern «im Namen der Ehre» ermordet; darunter Pakistan, Afghanistan, Bangladesh, Indien, Jordanien, Saudiarabien, der Irak, der Libanon und die Türkei.

 

Hazan K., 72 Jahre alt, Vater des ermordeten Süleyman, sitzt vor den Richtern in Bern. Er ist das erste mal in Westeuropa, das erste mal in der Schweiz. Er ist ein gebrochener Mann, hört schlecht und geht mit gekrümmten Rücken. "Ich kann nicht lesen, ich kann nicht schreiben. Ich bin wie ein Bettler“, sagt er dem Richter. „Ich habe keine Rente, kein Vieh. Ich besitze nicht einmal einen Baum“ Hazan K. spricht leise ins Ohr des Übersetzers, wenn er sich erinnert, wie alles anfing. Im Sommer 1996 fragt er in Elbistan für seinen Sohn Süleyman um die Hand Zahides an. Die beiden Alten kennen sich gut und die beiden Teenager – sie gerade 16, er 21 Jahre alt – sind sich sympathisch. Doch der Vater des Mädchens lehnt ab. Er hat seine Tochter bereits dem Sohn seines Bruders versprochen. In der türkisch-kurdischen Region Maras, zu welcher Elbistan gehört, ist Cousinenheirat verbreitet. Das Wort der Väter hat Gewicht.

 

Statt das Nein des Familienoberhaupts zu akzeptieren, treffen sich Zahide und Süleyman immer wieder; sehen sich an Familienfesten, die regelmässig stattfinden. Zahide gefällt die zurückhaltende Art des Jungen. Er ist anders als die andern. Auch die Geschwister der zwei Verliebten registrieren, dass sich die beiden mögen. Heimlich kommt es sogar zu einem Kuss. Doch gegen aussen gibt man sich korrekt. Keine Umarmung. Kein Händchenhalten. Keine Blicke.

 

Zahide weiss ganz genau, was von ihr erwartet wird: Gehorsam und sexuelle Reinheit. Sie ist inzwischen mit ihrem Cousin verlobt, den sie bald heiraten soll, wohnt mit ihrem Vater und den vier Brüdern in Deutschland und arbeitet als Hilfskraft in einer Textilfabrik. Süleyman hat in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt und findet im Berner Inselspital stundenweise Arbeit als Gärtner. Zwischen Duisburg und Niederscherli liegen 700 Kilometer. Genug Distanz für zwei, die sich nicht lieben dürfen, denken die Verwandten. Die Gefahr der verbotenen Liebe scheint gebannt.

 

Die beiden Brüder Sadik und Maksut A. passen in Deutschland zudem gut auf ihre jüngere Schwester auf. Dass sie nach der Arbeit sofort nach Hause kommt, dass sie abends nicht alleine weg geht, dass sie keinen Alkohol trinkt, nicht raucht, nicht in der Disco tanzt, und dass sie sich anständig kleidet. Denn wie der Vater tragen auch sie die Verantwortung für die Wahrung der Familienehre. Und ehrenhaft ist die Familie A., wenn sich Zahide ehrenhaft verhält. Ihr Ruf muss tadellos sein, ihr Körper unbefleckt bleiben, bis es zur Hochzeitsnacht mit dem versprochenen  Cousin in der Türkei kommt.

 

Zahide entscheidet sich anders. Vielleicht ist es das erste Mal in ihrem Leben überhaupt, dass sie eine Entscheidung fällt. Nach den ausgiebigen Neujahrsfeiern in Deutschland mit ihrer Familie, kauft sie sich am 15. Januar 2004 am Billetschalter von Duisburg eine einfache Bahnkarte, setzt sich in Zug und fährt mit dem Intercity via Köln nach Bern. Sie hat nur eine kleine Tasche bei sich, ein paar T-Shirts, Hosen, warme Pullover und einige Schmuckstücke, die ihr lieb sind. Sie ist sicher: Mit Süleyman will sie zusammen sein. Dieser Mann gehört an ihre Seite. «Sie wurde entführt», kommentiert ein Zeuge die Reise vor dem Gericht. «Aber sie war doch alleine im Zug?», fragt der Richter nach. «Ja, schon. Aber weil sie alleine zu einem Mann fuhr, sagt man bei uns, sie wurde entführt.»

 

Zahide A. steigt nach sechsstündiger Fahrt in Bern aus und fährt weiter zu ihrem Geliebten nach Niederscherli. Süleyman erwartet sie. Noch am selben Abend gibt sich Zahide ihren Geliebten hin. Die beiden besiegeln ihre Liebe. Ihrer Freundin Meryem zeigt sie nach der Entjungferung stolz das rote Leintuch. Sie ist glücklich, aber sie hat Angst. Von jetzt an schwebt sie ins Lebensgefahr.

 

Die schwierige Situation schweisst die Liebenden noch enger zusammen. Sie kaufen sich neue Möbel, richten sich ihr zu Hause ein. Ihre Wohnung an der Schwarzenburgerstrasse verlassen sie nur selten. Sie haben nicht viel Geld. Und Süleyman ist Eptileptiker, laute Partys sind nicht sein Ding. Abends ist er am liebsten zu Hause. Manchmal lädt das Pärchen Süleymans Bruder Mahmut und dessen Frau Meryem ein. Zu viert kocht man und diskutiert bis spät. Meryem, die fliessend Berndeutsch spricht, kennt viele Leute in Bern, ist unternehmungslustig und witzig. Meryem wird Zahides beste Freundin. Mit ihr kann sie lachen, ihr vertraut sie sich an, ihr erzählt sie auch von ihren Ängsten. «Von Süleyman», sagt Zahide ihr einmal, «gehe ich nur tot weg.»

 

Die Flucht Zahides in die Schweiz schlägt beim Vater und den Brüder ein wie ein Bombe. Was keiner für möglich gehalten hat, ist eingetroffen. Zahides Weggang wird zum Auslöser für massive Drohungen der Brüder. Sie warnen: Wenn Zahide nicht sofort nach Deutschland zurückkommt werde etwas passieren. Über Umwege machen sie die Wohnadresse und die Telefonnummer des Pärchens ausfindig. Zuerst rufen sie wöchentlich an, dann täglich. Zahide muss gehorchen, Zahide muss zurückkommen, und zwar sofort, innert 24 Stunden. Doch Zahide bleibt.

 

Jean-Pierre Vikari, Vorsitzender des Kreisgerichts möchte in der Verhandlung herausfinden, welchen Stellenwert die familiäre Ehre in der türkisch-kurdischen Tradition heute noch hat und welche Rolle sie beim Doppelmord von Niederscherli gespielt haben mag.

«Hat Zahide durch ihrem Weggang die Ehre der Familie verletzt?» fragt der Richter.
«Nein, die Verletzung der Ehre gibt es bei uns nicht mehr. Solche Sitten kennen wir nicht», sagt der Cousin des Angeklagten.
«Kommt es vor, dass eine Frau, die ihre Jungfräulichkeit vor der Ehe verliert, verstossen wird?», fragt der Richter.
«Nein. Sie wird trotzdem akzeptiert», antwortet der Cousin.
«Kann es sein, dass jemand für die Ehre sterben muss?», fragt der Richter.
«Nein. Das gab es früher. Seit fünfzig Jahren ist so etwas bei uns in Elbistan nicht mehr passiert», antwortet der Cousin.

 

Der Mann trägt seine Lügen ohne sichtliche Gemütsregung vor. Er streitet Offenkundiges ab, negiert Sitten und Mechanismen. Was nicht existiert, kann nicht bekämpft werden. Er versucht, von seiner Heimat ein modernes Bild zu zeichnen, mit toleranten Menschen, die die Unterdrückung der Frau nicht dulden und sich zum Fortschritt bekennen. Eine Heimat, in der die Frauen gleichberechtigt neben den Männern leben und ihren (Ehe)-partner selber wählen können.

 

Die Mitglieder des Kreisgerichts setzen alles daran, die Hintergründe des Verbrechens auszuleuchten, Zusammenhänge aufzuzeigen und zu verstehen, was hierzulande fast nicht zu verstehen ist. Fragen werden vorsichtig formuliert. Die türkischen Zeugen sollen nicht brüskiert werden. Da jeder Satz von einem Dolmetscher zuerst vom Deutschen ins Türkische und dann wieder zurück übersetzt werden muss, dauern die Einvernahmen doppelt so lang. Die Rede ist vom Sohn des Cousins , vom Bruder der Tante väterlicherseits, von der Schwiegertochter des Onkels mütterlicherseits. Man weiss zuweilen nicht, welche Person genau gemeint ist. Aber etwas wird klar: Die Familien A. und K. verstanden sich einmal gut. Man besuchte sich gegenseitig, tauschte Geschenke aus, trank zusammen Kaffee und beglückte sich gegenseitig mit Selbstgebackenem. «Wir sind vom gleichen Stamm», sagte Süleymans Vater in der Verhandlung.

 

Die euphemistisch als «Ehrenmorde» bezeichneten Verbrechen sind auf Grund des soziokulturellen Hintergrunds sicher nicht entschuldbar, aber sie sind zumindest psychologisch erklärbar. Die Ehre des Mannes wird über die Reinheit der Frau definiert. Zahide hat mit ihrem Weggang und ihrem Widerstand den Ehrenkodex der türkisch-kurdischen Tradition und somit die Ehre ihres Vaters verletzt. Um sein Gesicht zu wahren, sieht sich dieser gezwungen, Vergeltung zu üben. Die Gesellschaft, aus der stammt, erwartet es von ihm. Sonst gibt er sich der Lächerlichkeit preis. Seine Männlichkeit wird in Frage gestellt.

 

Doch Vater Kamber A. zögert. Er spricht mit seinen Söhnen. Haben nicht im Grund diese zu wenig auf ihre Schwester aufgepasst? Sind nicht sie letztlich schuld an ihrer Flucht? Irgendwann, im Winter 2001, nach weiteren erfolglosen Disziplinierungsversuchen, fällt in Duisburg der Entschluss: Zahide muss sterben.

 

Per Telefon kündigt der älteste Bruder seinen Besuch in Niederscherli an; mit einer frohen, für das Pärchen völlig unerwarteten Botschaft: Man habe mit dem Vater gesprochen, er habe seine Meinung geändert und willige nun doch in die Hochzeit von Süleyman und Zahide ein. Das Paar reagiert erfreut und erleichtert: Endlich. Alles wird gut. Um die Formalitäten zu regeln, kämen noch zwei Onkel und eine Tante mit in die Schweiz. Zahide erzählt es ihrer Freundin. Doch diese ist skeptisch. Sie glaubt nicht an das Happy End. „Lass deine Brüder nicht in die Wohnung“, rät die Zahide.

 

Am 17. Mai fahren Sadik und Maksut A. von Duisburg nach Niederscherli. Geredet wird nicht viel. Am 18. Mai am morgen klingeln sie an der Schwarzburgstrasse. Zuerst frühstückt man gemeinsam, dann sticht man zu. Ein Dutzend mal in den Köper von Süleyman, über dreissig mal in den Körper von Zahide. Der Mann wird an den Lungenoberlappen verletzt, sein Zungenbein durchschnitten, die Schädelknochen mit einer Klinge perforiert. Die Frau wird am Oberkörper verletzt, an Ellenbogen, Händen und Unterschenkel. Überall Spuren scharfer Gewalt. Eine «geistig verwirrte Täterschaft», kommt die Gerichtsgutachterin zum Schluss, sei da am Werk gewesen. Am Ende des Massakers schneiden die Brüder die Kehlen des Liebespaars durch, dann ziehen sie die Wohnungstür zu, schliessen sie ab, steigen ins Auto und fahren mit dem Auto nach Deutschland zurück. Das Liebespaar verblutet.

 

Süleymans Schwester, 47 Jahre alt, sitzt im Gerichtssaal und hält die schwarze Kunstledertasche wie ein widerspenstiges Kleintier auf ihrem Schoss. Ihr Blick schweift über die schneebedeckten Dächer Berns. Sie hört zu. Aber sie versteht nichts.  Der Experte für forensische Molekularbiologie berichtet von «Schmauchspuren an Duschvorhang», «Blutanhaftungen an Wohnungstür», «DNA-Spuren an Expressolöffel 2», «Misch-Spuren an Tafelmesser 1», und von «fäulnisbedingten Veränderungen». Während zehn Tagen liegen die Leichen unbemerkt in der Wohnung. Niemand vermisst das Pärchen. Allmählich dringen üble Gerüche aus den Räumen. Die Nachbarn reagieren, rufen die Polizei.

 

Sadik A. , Angeklagter, 24 Jahre alt. Er trägt einen dunklen Sako und hat sich das brillantierte Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sein Nacken muskulös und angespannt, seine Füsse in Fussschellen zusammengebunden. Vor seiner Inhaftierung hat er in einer Autowerkstatt als Mechaniker gearbeitet. Jetzt klebt er im Regionalgefängnis Thun Adressetiketten auf Briefumschläge. In der Freizeit schaut er fern oder macht Sport. Ja, er sei zusammen mit seinem älteren Bruder in der Wohnung gewesen. Aber zugestochen habe er nicht. «Ich bin Zigaretten holen gegangen und als ich zurückkam, waren beide tot.» Glaubwürdig klingt das nicht. Sadik A. hat im Laufe des Verfahrens einfach zuviel gelogen und widersprüchliche, sich beissende, ja geradezu absurde Aussagen gemacht.

 

Sadiks Blick bohrt sich, starr und unbeirrbar, in den Parkettboden. Nur wenn er spricht - und das ist nicht oft der Fall - reckt sich sein Kopf echsenhaft nach vorne: «Mein Verhältnis zu Zahide war gut», sagt er über seine tote Schwester. Sein Bruder sei immer eine Art Ersatzvater für ihn gewesen. «Ich bin ihm hörig.» In der Untersuchungshaft hat er seinem Bruder viele lange Briefe geschrieben. In einem stand der Satz: «Du solltest niemals vergessen, dass ich Dich mehr liebe als mein eigenes Leben.»

 

Ist der Angeklagte, lautet die zentrale Frage im Berner Prozess, letztlich selber ein Opfer? Konnte sich dieser gegen aussen so modern wirkende 24-jährige Mann nicht über die kurdischen Traditionen hinwegsetzen? Stand er unter dem massiven Druck der Verwandten, jemanden zu töten? Der Staatsanwalt verneint. Sadik habe alle seine prägenden Jugendjahre in Deutschland verbracht, er sei assimiliert und sogar selbst Vater eines unehelichen Kindes. Gerade er hätte seine Schwester am besten verstehen müssen. «Er war mehr Deutscher als Türke.»

 

Insan Namusu icin yasar - Der Mensch lebt für seine Ehre, lautet ein türkisches Sprichwort. Zwei junge Menschen haben den Entschluss, aus den türkisch-kurdischen Strukturen auszubrechen, mit dem Leben bezahlt. Es handelt sich um eine absolut sinnlose, kaltblütige und verwerfliche Tat. Kamber A., Oberhaupt der Familie und Anstifter, hat durch diese Bluttat seine Ehre zurückerlangt.

 

 

BOX: WELCHE EHRE WEM GEBUEHRT

 

Wenn in der Schweiz Gewaltverbrechen «im Namen der Ehre» verübt werden, reagiert die Bevölkerung mit Befremden und Unverständnis. Die euphemistisch als «Ehrenmorde» bezeichneten Verbrechen sind trotz Vorliegens eines sozio-kulturellen Hintergrunds nicht entschuldbar, aber psychologisch erklärbar. Dazu ist eine Auslegung des Begriffs Ehre hilfreich, für den es im Türkischen drei Termini gibt.

 

Der erste Begriff, «Namus», steht im engeren Sinne für einen Wert, der mit der Geschlechtsidentität und der Anerkennung derselben zu tun hat. Der zweite Begriff, «Seref», stützt sich auf die Anerkennung und persönliche Wertschätzung von anderen Personen und kann durch Tugend und Leistung erworben werden. Der dritte Begriff - «Irz» - bedeutet Keuschheit oder Züchtigkeit und ist auf das Verhalten des weiblichen Geschlechts bezogen.
Der Umgang mit der Ehre und ihrer Verletzung ist innerhalb der türkischen Gesellschaft allerdings sehr unterschiedlich und von Faktoren wie Region, Bildung und Religiosität abhängig. Ehrenmorde gibt es vorwiegend bei den sunitischen Kurden.

 

Die Ehrenhaftigkeit einer ledigen Frau wird darin gesehen, dass sie bis zur Eheschliessung ihre Jungfräulichkeit bewahrt. Bei der Hochzeit muss sie unbefleckt sein. Die Ausdrucksform der weiblichen Ehre ist die Schamhaftigkeit. Ein Mann ist nur solange ehrenhaft, wie seine nächsten weiblichen Verwandten (Mutter, Ehefrau, Schwester, Tochter) ehrenhaft sind.

Begeht eine Frau Ehebruch, befleckt sie nicht nur ihre Ehre, sondern auch jene ihres Mannes und der anderen Männer im Haushalt, dem sie angehört. Der Ehemann oder der Vater der Frau ist verpflichtet, die verletzte Ehre mit einer entsprechenden Vergeltungsaktion wiederherzustellen. Er gilt dann als Ehrenhüter, als «Namuscu», und geniesst ein hohes Ansehen.

 

Eine Frau bringt auch Schande über die Familie, wenn sie vergewaltigt wird. «Wenn eine Hündin nicht mit dem Schwanz wedelt, kommt auch kein Rüde», lautet ein türkisches Sprichwort. Die verlorene Ehre der Familie kann wiederhergestellt werden, indem die Frau ihren Peiniger heiratet und mit ihm eine Familie gründet.