PUBLIKATION

Neue Zürcher Zeitung

ZUSAMMENARBEIT

Christian Beutler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.12.2011

SELTEN TURBULENTE KARRIERE

 

Journalist, Arbeitslosenvermittler, Gefängnisdirektor, Zuger Regierungsrat – und ab heute Direktor des Zürcher Laufbahnzentrums: Patrick Cotti weiss aus eigener Erfahrung, was eine turbulente Karriere ist.

 

Es gibt zwei Möglichkeiten, Leute mit wechselnden beruflichen Stationen zu bezeichnen: als Unentschlossene, die nicht wissen, was sie wollen, oder als Mutige, die vor Neuem nicht zurückschrecken. Was gilt nun für den 49-jährigen Zuger Patrick Cotti, der im Sommer dieses Jahres vom Zürcher Stadtrat zum neuen Direktor des Laufbahnzentrums gewählt wurde und dem ab heute die Führung von über 100 Leuten obliegt? «Je nach Lebensphase traf beides zu», meint er selber und präzisiert sogleich, dass er beruflich nie einen fixen Plan gehabt habe, wo er wann stehen müsse, jedoch viel an ihn herangetragen worden sei und er Gelegenheiten gepackt habe, wenn sie sich ihm geboten hätten.


«Wie jeder Mensch hatte ich Vorstellungen davon, was ich beruflich machen wollte, doch diese waren nicht immer mit der Realität kompatibel», sagt Cotti. Für den vierfachen Vater galt es auch, Rücksicht auf die familiäre Situation zu nehmen: «Je nach Umständen und Zeiten muss man nachgeben oder nicht.» Beruflich einen «Ego-Trip» zu fahren, hätte ihn privat nicht glücklich gemacht. Sich festklammern an einem Job, auf Biegen und Brechen – auch dies war Cottis Motto nie.


Die Abwahl als grün-alternativer Bildungsdirektor aus der Zuger Regierung am 4. Oktober 2010 war für ihn dennoch ein heftiger Einschnitt. Es sei, sagt er rückblickend, ein Schock und eine grosse Enttäuschung gewesen. Als Fünftplacierter auf einer gemeinsamen Liste mit der SP musste sich Cotti auf eine Abwahl gefasst machen. Doch das änderte nichts daran, dass er das Ergebnis auch als persönliche Niederlage empfand. Bange um seine berufliche Zukunft war ihm dadurch zwar nicht, «aber wer sich mit Herzblut in seinem Departement einsetzt, den trifft es, wenn er gehen muss».


Abgesehen vom jetzigen Wechsel hat der unkomplizierte Zuger mit dem jugendlichen Schalk seine beruflichen Antennen immer freiwillig neu ausgerichtet. Unmittelbar nach dem Studium der Germanistik, Musikwissenschaft und Literaturkritik betreute er Asylsuchende in einem Empfangsheim im zugerischen Steinhausen, sorgte dafür, dass die Flüchtlinge einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachgingen, den Alltag bewältigten und Deutsch lernten. In seinem anschliessenden Einsatz als Journalist bei Innerschweizer Zeitungen nutzte Cotti dann seine Leidenschaft fürs Schreiben, um jene Themen an die Öffentlichkeit zu bringen, die ihm wichtig waren, vor allem im Bereich der Jugend- und Sozialpolitik. Die Hintergrundgeschichten verfasste er aus einer persönlichen Überzeugung, «doch irgendwann wollte ich nicht mehr nur über Dinge schreiben, sondern direkt Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen».


Möglichkeit dazu boten ihm sowohl die Arbeit in der Drogenstation Frankental, wo er Anfang der 1990er Jahre für die berufliche Integration verantwortlich und Mitglied der Geschäftsleitung war, als auch sein Engagement beim Aufbau eines regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV). Beide Male setzte Cotti alle Hebel in Bewegung, gesellschaftlich isolierte oder gar ganz «ausgemusterte» Menschen mit konkreten Hilfestellungen wieder ins Berufsleben zu integrieren. Dies bedeutete auch, Menschen mit teilweise unrealistischen Berufszielen mit den harten Umständen des realen Arbeitsmarktes zu konfrontieren, ohne ihnen die Motivation zu rauben. Sowohl in seiner Führungsposition beim RAV wie auch im Frankental übertrug Cotti seiner Klientel mehr Verantwortung als ähnlich positionierte Kollegen in vergleichbaren Institutionen. Er sei, sagen ehemalige Mitarbeiter, alles andere als ein Kontrollfreak. «Man muss den Leuten etwas zutrauen», sagt er, «nur dann entwickeln sie Ambitionen, den Willen und die Freude, etwas anzugehen.»


Diese langjährigen Erfahrungen mit Asylbewerbern, Drogensüchtigen und Arbeitslosen haben ihn mit jener Kompetenz ausgestattet, die ihm zugutekam, als er 1999 die Leitung der Strafanstalt in Zug übernahm. Die Herausforderung bestand darin, die Betriebsstrukturen und das Betreuungskonzept komplett zu modernisieren. Cotti tat dies im Auftrag seines damaligen Chefs, Sicherheitsdirektor Hanspeter Uster, während sieben Jahren. Im Umgang mit den Gefangenen zeigte der unkonventionelle Cotti nicht nur die von der Gesellschaft und der Politik eingeforderte Härte, sondern er sorgte in der Anstalt auch für ein gutes Klima, etablierte das Mitspracherecht der Gefangenen und machte gemeinsam mit ihnen Yoga.

Das erste halbe Jahr nach seiner Abwahl aus der Zuger Regierung nutzte Cotti für ein Nachdiplomstudium in Unternehmensführung an der Hochschule in Basel; wohlwissend, dass es heute selbst für ein abgewähltes Exekutivmitglied mit besten Referenzen und einer durch und durch zuversichtlichen Grundhaltung nicht selbstverständlich ist, eine passende Anschlusslösung zu finden. «Türen, die man offen wähnte, sind zu, andere, die man geschlossen glaubte, stehen plötzlich offen», sagt Cotti, der seinem ersten Arbeitstag an der neuen Stelle in der letzten Zeit ungeduldig entgegenblickte: Schwerpunkte setzen möchte er bei der Nutzung neuer Medien, weil sie seines Erachtens innerhalb der Berufswahl und Laufbahnplanung zielgerichteter eingesetzt werden können. Zudem will er die Vermittlerrolle des Laufbahnzentrums stärken. Welche Strategie Cotti auch immer fahren wird: Es dürfte sich kaum als Nachteil erweisen, dass der neue Direktor selber diverse Richtungen einschlug, die berufliche Herausforderung immer wieder suchte und auch fand.